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Das Geheimnis der Totenmagd

Das Geheimnis der Totenmagd

Titel: Das Geheimnis der Totenmagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Neeb
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werdenden Nieselregen vor dem Eingang Position bezog. Erneut das Innere zu betreten und sich dem Anblick der schreckensgeweiteten toten Augen noch einmal auszusetzen, dazu konnte er sich nicht durchringen. Er fror in seiner klammen Arbeitskutte, fühlte sich gänzlich überflüssig in dieser Welt und sehnte sich so sehr wie nie nach einem Glas Branntwein. Da bog unversehens die Haushälterin des Pfarrers um die Ecke. Als sie auf dem Weg zur Friedhofspforte an ihm vorüberschritt, streifte sie ihn mit einem kurzen, vernichtenden Blick, so, als stünden ihm seine frevelhaften Gedanken auf die Stirn geschrieben.
    *
    Nachdem der Stadtschultheiß Reichmann von der Haushälterin des Pfarrers über den schrecklichen Fund im Beinhaus in Kenntnis gesetzt worden war, schickte er umgehend einen Boten zu sämtlichen Mitgliedern des Magistrats und ließ ihnen bestellen, sich umgehend auf dem Peterskirchhof einzufinden. Auch den Stadtarzt Stefenelli bat er dazu.
    Heinrich Sahl stand noch immer im Nieselregen vor dem Beinhaus und zitterte vor Kälte, als der völlig aufgelöste Pfarrer Juch den Bürgermeister und die Ratsherren sowie den Stadtphysikus ins Beinhaus führte. Doch keine der Standespersonen würdigte ihn auch nur eines Blickes. Aus dem Innern des Karners vernahm Heinrich das entsetzte Aufstöhnen und die gestammelten Betroffenheitsbekundungen der hohen Herren und wurde gleich darauf von seinem Vorgesetzten damit beauftragt, die Tote in die Leichenhalle zu tragen und sie dort aufzubahren.
    Bevor Doktor Stefenelli vor den versammelten Honoratioren die Leichenschau eröffnete, forderte er unwirsch: »Ich bitte darum, dass ausreichend Fackeln angezündet werden, in diesem trüben Licht kann ich nicht arbeiten.«
    Pfarrer Juch stürzte sogleich nach draußen und rief dem sich bereits entfernenden Totengräber zu, er solle gefälligst Licht herbeischaffen.
    Erst als Sahl nicht weniger als zehn Fackeln in den Wandhalterungen befestigt hatte und die Leichenhalle hell erleuchtet war, nickte der Arzt endlich zustimmend. Schweigend wartete er, bis der gemeine Mann die Totenkapelle wieder verlassen hatte, dann erst begann er, die Leiche der jungen Frau zu entkleiden. Beim Anblick des extrem abgemagerten Körpers der Toten konstatierte er mit hämisch nach unten gezogenen Mundwinkeln: »Das ist ja das reinste Gerippe. Die muss ja schon kurz vor dem Hungertod gewesen sein.«
    Einzelne Ratsherren hüstelten betroffen, und Reichmann rief erschüttert: »Die sieht ja schlimm aus, die Arme.«
    Stefenelli fuhr mit der Visitation fort, bewegte vorsichtig den Kopf der Toten und besah gründlich das Gesicht und den Hals.
    »Die Tote weist an der Halsschlagader eine Schnittwunde auf und ist vollkommen ausgeblutet«, stellte er gleich darauf fest. »Das erklärt auch ihre extreme Blässe, die noch um einiges heller ist als die eigentliche Leichenblässe.« Dann untersuchte der Medicus in akribischer Genauigkeit den gesamten Körper der Toten.
    »Außer zahlreichen vernarbten Striemen an Schultern und Rücken sind keine weiteren Auffälligkeiten auszumachen«, konstatierte er abschließend und erklärte die Leichenschau für beendet.
    Beim Hinausgehen raunte der Bürgermeister seinem Freund und engsten Vertrauten Johann Fichard mit unheilvollem Augenaufschlag zu: »Die Stockarin war ja schon recht sonderbar. Wer weiß, was da noch alles dahintersteckt.«
    Anschließend beauftragte er ein Dutzend Stadtbüttel, das gesamte Friedhofsgelände gründlich nach Blut oder sonstigen Spuren zu durchforsten. Doch weder in der Umgebung des Beinhauses noch auf dem restlichen Gottesacker fanden sich Hinweise auf eine Gewalttat. Auch eine entsprechend große Blutlache war nirgendwo zu entdecken, was aber womöglich dem starken Regen zuzuschreiben war.
    Nach der nervenaufreibenden Prozedur zogen sich die Herren zu einer ersten Beratung ins Pfarrhaus zurück, wo ihnen die Pfarrhaushälterin stärkende Getränke reichte.
    »Wir werden nichts unversucht lassen, den Schurken ausfindig zu machen, der der armen Mechthild so etwas angetan hat«, gab Reichmann mit bebender Stimme von sich.
    Der Patrizier Johann Fichard stimmte ihm zu: »Der Meinung bin ich auch, mein lieber Nikolaus, das sind wir unserem alten Freund und Senatskollegen Josef schuldig.« Dann gab er zu bedenken: »Welchen Untersuchungsrichter aber wollen wir mit dem Fall betrauen? Der Lederer taugt doch nicht viel und ist einer Ermittlung von solcher Bedeutsamkeit nicht gewachsen. Außerdem haben wir

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