Das Geheimnis der Totenmagd
Totengräbers. Und damit nicht genug, arbeite ich auch noch als Totenwäscherin. Gruselig, nicht wahr?«
Der junge Mann ergriff unbeeindruckt ihre Rechte. »Sehr erfreut, Euch kennenzulernen, Katharina Bacher. Ich bin Florian Hillgärtner, angehender Kunstmaler und Meisterschüler bei Meister Martin Caldenbach. Meinen Beistand gab ich Euch gerne, auch wenn ich den Eindruck gewann, dass Ihr ihn keineswegs nötig hattet – Ihr habt Euch selbst tapfer verteidigt. Und dass Ihr von Beruf Totenwäscherin seid, ängstigt mich kein bisschen. Im Gegenteil, ich finde es interessant. Doch es verblüfft mich auch. Ich dachte nämlich immer, Totenfrauen wären zahnlose alte Weiber und nicht jemand, der so strahlend und … liebreizend ist wie Ihr.« Der Maler musterte die Totengräbertochter mit unverhohlenem Wohlgefallen.
Angesichts dieses frechen Blickes fand Katharina es angemessen, ihn gebührend in die Schranken zu weisen und sich zu entfernen.
»Ich muss mich aufmachen«, sagte sie reserviert.
Doch Florian Hillgärtner ließ sich nicht so leicht abwimmeln. »Darf ich Euch ein Stück begleiten?«, erkundigte er sich höflich.
Katharina brachte es nicht übers Herz, ihm eine Abfuhr zu erteilen. »Na gut, dann geht halt mit«, stimmte sie schließlich zu. »Ich muss zu meinem Vater auf den Peterskirchhof.«
Als er daraufhin ihren Korb ergriff, um ihn für sie zu tragen, ließ sie ihn gewähren.
Eine Weile lang gingen sie schweigend dahin. Dann fasste sich Katharina ein Herz und sagte: »Es tut mir leid, dass ich damals so ruppig zu Euch war, als wir uns vor dem Frauenhaus getroffen haben.«
»Ach das! Das war doch nicht so schlimm. War ja auch ziemlich ungeschickt von mir, mich gleichzeitig mit Euch zu bücken. Aber mit dem Frauenhaus, da habt Ihr mir schon ein wenig unrecht getan. Ich gehe nämlich nicht dorthin, um mich zu verlustieren, sondern der Arbeit wegen. Ihr müsst wissen, ein Malergeselle verdient nicht allzu viel. Mit fünf Gulden im Jahr kann man keine großen Sprünge machen. Da war ich froh, dass mich die Huren um ein Porträtbild ihrer Meisterin gebeten haben.«
»Ihr habt das Gemälde gemacht, das bei der Hurenkönigin in der Stube steht!«, stellte Katharina ehrfürchtig fest. »Ich habe es gesehen, als ich letztens da war, weil ich … Ich habe im Auftrag der Hurengilde eine Tote gewaschen, wisst Ihr. Ich verstehe ja nichts davon, aber ich finde, Ihr beherrscht Euer Handwerk ganz vortrefflich.«
Ihr Lob schien den Meisterschüler mit Stolz zu erfüllen.
Neugierig fuhr Katharina fort: »Ihr seid überhaupt der erste Maler, den ich kennenlerne. Wolltet Ihr immer schon Maler werden?«
»Nun, eigentlich sollte ich Schreiber lernen«, antwortete Florian. »Mein Vater und Großvater waren angesehene Frankfurter Buchmaler. Doch seit der Entdeckung des Buchdrucks durch Meister Gutenberg verlor mein Vater immer mehr Aufträge und musste schließlich als Ratsschreiber arbeiten. Aber mir widerstrebte diese Tätigkeit …«
»Ihr könnt schreiben?«, unterbrach ihn die Totenwäscherin fasziniert.
»Ja, ich war auf der Lateinschule. Aber schon als Knabe habe ich angefangen zu zeichnen, alles, was ich so gesehen habe. Und als ich fünfzehn war, gab der Vater meinen ständigen Bitten endlich nach und gestattete mir, mich als Malergeselle auf die Wanderschaft zu begeben. Er hatte Verständnis für mich, schließlich war er selbst Künstler gewesen. Kurz nach den Wirren der Pest, Ende 1507, kehrte ich dann nach Frankfurt zurück und wurde auf Empfehlung meines Vaters Meisterschüler bei Meister Caldenbach.« In ehrfürchtigem Tonfall fügte Florian hinzu: »Er ist ein Schwager des großen Albrecht Dürer und war früher auch sein Schüler.«
Katharina, die ihm begeistert zugehört hatte, schüttelte den Kopf und gab unumwunden zu, dass sie von Dürer noch nie gehört hatte.
»In der Malerei kenne ich mich überhaupt nicht aus. Nur wenn ich in die Peterskirche gehe, oder in die Katharinenkirche, um an meinem Namenstag vor dem Bildnis meiner Namenspatronin eine Kerze zu entzünden, schaue ich mir immer die herrlichen Altargemälde an. Der Herr Jesus und die Muttergottes und auch die Heiligen, sie sehen darauf so echt und lebendig aus. Ich habe immer das Gefühl, sie schauen mich an und verstehen alle meine Gebete.«
Florian, der Katharina bei diesen Worten immer wieder gemustert hatte, war jetzt mitten auf der Zeil stehen geblieben und schaute sie wie gebannt an.
»Eure reinen Züge, die strahlenden
Weitere Kostenlose Bücher