Das Geheimnis der Totenmagd
überführt werden konnte. Im Zorn und im Rausch hat er in der Schenke die folgenden Worte ausgestoßen: Er würde mit der Stadt bald fertig sein, sein Pulver reiche aus, um auch die noch nachzuholen, die übriggeblieben seien. Daraufhin hat der ehrenfeste Rat den Menschenmörder in Haft genommen und foltern lassen. Da hat er dann gestanden, dass der Teufel ihm eingegeben hätte, wie er das Pulver machen sollte. Als gerechte Strafe für seine Gräueltaten ist er mit dem Rad an seinen Gliedern zerschlagen und dann auf einem großen Scheiterhaufen lebendig zu Pulver verbrannt worden!«
Die Menge grölte gehässig, hier und da wurden wüste Flüche ausgestoßen. Katharina kannte die abergläubische Scheu der Stadtbürger vor dem Beruf ihres Vaters und die damit verbundenen bösartigen Verunglimpfungen nur allzu gut. Sie wollte sich schon voller Unbehagen und Groll aus dem Gedränge zurückziehen, als sie in ihrer unmittelbaren Nähe höhnisches Gekeife hörte:
»Na, Totenfrau, gefällt dir wohl net, was man da von solchen wie euch zu hören kriegt, was? Ich weiß nur eins: Wenn’s irgendwo eine Seuch gibt, stecken entweder die Judde dahinner oder eure Bagage. Des wär ja net des erste Mal, dass einer von euch die Brunne vergifte tät in unserm schöne Frankfurt. Am Beste wär’s, mer steckt euch alle zusamme in en Sack und drischt druff!« Der Rufer war ein betrunkener, zahnloser alter Mann, in dem Katharina den früheren Küster der Peterskirche wiedererkannte. Er war wegen seiner ausufernden Trunksucht unehrenhaft entlassen worden und strich seither durch die Stadt, erbettelte Geld und wetterte zwischendurch gegen Gott und die Welt.
Katharina hatte nun doch genug. » Dich sollte man in einen Sack stecken und deinen versoffenen Kadaver den Hunden vorwerfen, dann hätten wir eine Dreckschleuder weniger in der Stadt«, fuhr sie dem Trunkenbold aufgebracht übers Maul. Aus der Menge waren Pfiffe zu vernehmen.
»Halt bloß den Rand, du rothaarisch Hex, sonst werste aach noch zu Pulver verbrannt«, grölte eine ältliche Matrone bösartig, worauf sie zustimmendes Gelächter erntete.
»Leichenfledderer und Grabräuber seid ihr, des waas doch in Frankfurt jeder!«, mischte sich nun auch wieder der Betrunkene ein. »Warum hat’s de Heini in seiner Stubb immer so schee warm? Weil er sein Ofe mit Sargholz beheize tut. – Was trägt er unner seim Rock? – A feines Totehemd …«, krähte er aufgekratzt, als ihn plötzlich eine laute Männerstimme unterbrach.
»Haltet bloß Euer Schandmaul, Alter, sonst stopf ich es Euch«, fuhr ein hochgewachsener, schlanker Mann mit ungebändigten Haaren und einem abgewetzten Samtbarett den Aufwiegler an. Es war der junge Mann, mit dem Katharina unlängst vor der Tür des Frauenhauses zusammengestoßen war.
Drohend ging er auf den Alten zu. »Hör auf, die Dame zu belästigen, du altes Waschweib, und schleich dich gefälligst!«, herrschte er ihn an, und seine hellgrünen Augen funkelten angriffslustig. Das Lästermaul bekam es offenbar mit der Angst zu tun und trollte sich widerwillig, nicht ohne weiter unwirsch vor sich hin zu brabbeln.
Katharina, die die Gehässigkeiten ebenfalls nicht einfach auf sich beruhen lassen mochte, fauchte die verächtlich starrende Menschenmenge an:
»Von uns vergiftet niemand Brunnen! Wir tun alle nur redlich unsere Arbeit. Außerdem haben auch wir unsere Toten zu beklagen, meine Mutter und meine vier Geschwister sind ebenfalls an der Pest gestorben. – Und jetzt lasst mich in Frieden!« Angesichts dieser zornigen jungen Löwin traute sich keiner mehr, etwas Ungebührliches zu sagen, und der Pulk begann, sich langsam aufzulösen.
Lediglich ein paar Gassenkinder sangen im Hintergrund:
»Totenmagd, mir graut vor dir,
näht ein weißes Hemdlein mir,
ruhe sanft und schließ die Lider,
was sie anfasst,
kehrt niemals wieder!«
Katharina trat auf die Kinder zu und zwickte sie versöhnlich in die Wangen. »Seid nicht so frech, ihr Bälger, sonst kriegt ihr das nächste Mal keinen Totenweck mehr von mir«, sagte sie mit gespielter Strenge, während sie den Kindern liebevoll über die Köpfe strich.
Ihr Zorn hatte sich etwas gelegt, und sie wandte sich an den jungen Mann mit dem Samtbarett, der stehen geblieben war und das Schauspiel mit amüsiertem Lächeln verfolgt hatte.
»Danke für Euren Beistand«, erklärte sie und streckte ihm freundschaftlich die Hand hin. »Mein Name ist Katharina Bacher, und ich bin die Tochter des städtischen
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