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Das Geheimnis der Totenmagd

Das Geheimnis der Totenmagd

Titel: Das Geheimnis der Totenmagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Neeb
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ihn mit dem Hurenmord betraut, weil er da nicht viel falsch machen kann.«
    »Ich muss die Herren um Entschuldigung bitten«, meldete sich Pfarrer Juch plötzlich mit der klangvollen Stimme des routinierten Kanzelredners zu Wort. »Ich unterbreche nur ungern, aber in diesem Fall muss ich daran gemahnen, dass es sich eindeutig um eine Kirchensache handelt. Für mein Dafürhalten besteht nämlich kein Zweifel daran, dass es sich bei der grausamen Mordtat um das Werk von Teufelsanbetern handelt. Außerdem ist der Kirchhof als heiliger Ort durch die frevelhafte Bluttat geschändet worden, was die Aufklärung des Verbrechens gleichfalls zu einer Angelegenheit der Kurie macht. Ich werde mich noch heute mit dem Erzbistum Mainz in Verbindung setzen und die Diözese um Hilfe ersuchen.«
    Der Bürgermeister und die Ratsherren waren über das Ansinnen des Pfarrers wenig erfreut, hielten ihren Unmut aber im Zaum und schwiegen. Eigentlich ließen sie sich von der Geistlichkeit nicht gerne in die Regierungsgeschäfte hineinreden. Andererseits mochten sie es sich mit dem Kaiser, der ein Ausbund an Frömmigkeit war, auch nicht verderben, verdankten sie ihm doch die Reichs- und Messefreiheit.
    In die allgemeine Stille hinein erkundigte sich der Bürgermeister, dessen lange, spitze Nase durch den frühen Genuss geistiger Getränke deutlich gerötet war: »Pflegt nicht die heilige Mutter Kirche bei derartigen Sachverhalten einen Inquisitor mit der Untersuchung zu beauftragen?« Er schien mit einem Mal Juchs Vorschlag gegenüber gar nicht mehr so abgeneigt zu sein. Wenn die Kirche die heikle Angelegenheit unbedingt selbst aufklären wollte, bitte schön! Das ersparte dem Rat der Stadt weitere Blamagen und Peinlichkeiten … Auch wenn keiner von ihnen gewagt hätte, es offen auszusprechen, hegten die Ratsherren ganz ähnliche Gedanken und bekundeten durchweg ihr Einverständnis.
    Daher wurde ein berittener Stadtherold zum Bischof nach Mainz entsandt, und die Herren besannen sich, dass es nun an der Zeit war, die Familie der Toten zu benachrichtigen.

4
    An Allerseelen machte sich die Totenwäscherin Katharina Bacher um die elfte Stunde auf den Weg zu ihrem Vater. Sie wusste um seine Schwermut und Trunksucht und war seit dem Tod der Mutter darum bemüht, ihn vor der Verwahrlosung zu bewahren. Täglich bereitete sie ihm eine warme Mahlzeit zu, die sie, um den mehr als mäßigen Appetit des Trinkers ein wenig anzuregen, mit ihm gemeinsam einzunehmen pflegte. Für heute hatte sie eine herzhafte Linsensuppe vorgesehen und sogar eine Speckschwarte dabei, die sie mit Zwiebeln auslassen und dann mit den Linsen und dem Wurzelgemüse zusammen köcheln lassen würde.
    Da Feiertag war, trug Katharina eine kunstvoll gefaltete Schmetterlingshaube aus rauchgrauem flandrischen Linnen, welches sie als Stoffrest für wenig Geld einem Tuchhändler auf der Neuen Kräme abgekauft hatte. Das zarte Grau der Haube korrespondierte vorteilhaft mit ihren zimtfarbenen Haaren. Unterwegs warfen ihr nicht wenige Männer begehrliche Blicke zu, doch Katharina senkte nur züchtig die Lider und ging unbeirrt weiter. Als sie über den weiten Platz vor der Katharinenkirche kam, neigte sie wie immer leicht ihr Haupt, um der Namenspatronin einen stillen Gruß zu senden. Gerade wollte sie in die Zeil abbiegen, als sie am Rande des Platzes einen jungen Flugblatthändler gewahrte, der gerade dabei war, eine Schautafel aufzustellen. Gleich darauf begann er, in theatralischem Tonfall zu deklamieren:
    »Von der schlimmen Infektion, welche sich in Niederschlesien ausgebreitet hat, und ihren Ursachen.«
    Katharina liebte es, den mitunter haarsträubenden Geschichten der Vorleser zu lauschen, und blieb stehen. Allerdings wäre es ihr viel lieber gewesen, sie hätte die Nachrichten selbst entziffern können; glühend beneidete sie jeden, der das Lesen beherrschte.
    Nachdem es dem Vorleser gelungen war, die Aufmerksamkeit der Menge auf sich zu ziehen, fuhr er mit viel Pathos fort: »Der Stifter und Verursacher des großen Sterbens war kein anderer als der Totengräber Heinrich Krahle. Er hat nicht allein Brunnen vergiftet, sondern zudem die meisten und wichtigsten Straßen der Stadt mit einem giftigen Pulver bestreut. Und das Elend ist unter den Bewohnern der Stadt immer schlimmer geworden. Als aber der barmherzige Gott gesehen hat, dass die rechte Zeit gekommen war und er dem Mordgesellen keine weitere Macht mehr lassen wollte, hat es sich wunderbar geschickt, dass der besagte Schurke

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