Das Geheimnis der Totenmagd
nachdem er einen Bissen Brot und einen Schluck Wasser zu sich genommen hatte, machte er sich mit der Gemme in der Tasche auf den Weg zum Pfarrhaus und klopfte schicksalsergeben an die Tür.
»Hochwürden erwarten heute noch hohen Besuch aus Mainz und sind vor einer halben Stunde aufgebrochen, ihm entgegenzureiten«, knarzte die Hauswirtschafterin mit der üblichen Unfreundlichkeit.
Heinrich schüttelte verzagt den Kopf. »Wann wird er denn ungefähr zurück sein? – Es ist wichtig«, sagte er eindringlich.
»Das weiß ich nicht«, entgegnete die Frau abweisend und schlug Heinrich, ehe er noch etwas erwidern konnte, erneut die Tür vor der Nase zu.
Um die Mittagszeit wurde der Totengräber wieder im Pfarrhaus vorstellig und zum dritten Mal abgewiesen. Als er am späten Nachmittag einen weiteren Vorstoß wagte, ließ ihn die Haushälterin mit grimmiger Genugtuung wissen, Pfarrer Juch befinde sich gerade in einer Besprechung mit dem Herrn Inquisitor Hubertus Ottenschläger und wünsche, keinesfalls gestört zu werden. Er möge gefälligst morgen wiederkommen.
*
Das Abendessen im Pfarrhaus ließ nichts zu wünschen übrig. Dem hohen Gast zu Ehren zierten kalter Fasan, edles Wildbrett aus dem Taunuswald und geräucherte Bachforelle die festlich gedeckte Tafel. Dazu gab es tiefroten Burgunderwein und den berühmten Frankfurter Mandelkäse, eine köstliche, aber auch recht teure Süßspeise. Umso mehr irritierte Pfarrer Juch die Anspruchslosigkeit seines Besuchers: Der Inquisitor begnügte sich mit einem Stück Bachforelle und einer Scheibe Roggenbrot und trank dazu nur Wasser, was den Gastgeber, der Speis und Trank sonst gut zuzusprechen pflegte, notgedrungen dazu bewog, seinen Appetit zu zügeln.
Hubertus Ottenschläger war ein Mann von hagerer Gestalt und mit scharfgeschnittenen, asketischen Gesichtszügen. In seinem schlichten braunen Ordensgewand und den einfachen Sandalen sah der betagte Dominikaner eher wie ein einfacher Mönch aus als wie die hohe geistliche Autorität, die er zweifellos war. Ebenso schlicht und geradlinig schien er auch in seinem Umgang zu sein. Als ihn Pfarrer Juch mit »Herr Großinquisitor« ansprach und jedes Mal ehrfürchtig den Kopf neigte, wenn er das Wort an ihn richtete, bemerkte Ottenschläger bescheiden:
»Nennt mich doch einfach Bruder Hubertus. Schließlich sind wir doch alle beide ergebene Diener der heiligen Mutter Kirche.«
Kaum dass die Tafel abgetragen war, kam Ottenschläger auch gleich zur Sache. »Wir sollten uns darüber beraten, wie in der heiklen Angelegenheit weiter vorzugehen ist«, sagte er und fixierte seinen Amtskollegen mit seltsam starren, nahezu farblosen Augen, die nie zu blinzeln schienen. In diesem eindringlichen Blick offenbarte sich dem Pfarrer die ganze Unbarmherzigkeit und Härte, für die der berühmte Dominikaner in Kirchenkreisen bekannt war. Einen Moment lang spürte er eine so namenlose Angst, dass ihm die Luft wegblieb. Der Inquisitor, dem die Irritation des Pfarrers nicht verborgen geblieben war, blieb gelassen:
»Fangen wir doch am besten noch einmal ganz von vorne an. Die Tote wurde von Eurem Totengräber unter höchst merkwürdigen Umständen gefunden. Ist das zutreffend?«
Pfarrer Juch zögerte kurz mit der Antwort.
»Ihr meint, weil sie im Beinhaus lag?«, fragte er unsicher.
»Richtig. Sie lag im Beinhaus auf den Knochenstapeln und war in einen schwarzen Leidmantel gekleidet«, bestätigte der Inquisitor. »Fällt Euch da nichts auf?« Ottenschläger maß Juch mit einem auffordernden Blick, der Juchs Unsicherheit noch verstärkte. In Ottenschlägers Gegenwart kam er sich vor wie ein dummer, kleiner Lateinschüler vor einem allwissenden Magister. Er blieb dem Inquisitor die Antwort schuldig und zuckte nur mit den Schultern.
Ottenschläger zeigte sich gnädig und fügte hinzu: »Tragen nicht auch Totengräber solche schwarzen Kutten?«
Pfarrer Juch wurde es mit einem Mal siedend heiß. »Ihr habt recht!«, rief er aus. »Totengräber haben solche schwarzen Mäntel.«
»Seht Ihr«, bemerkte Ottenschläger triumphierend. »Und deswegen bin ich der Meinung, wir sollten uns mit diesem Totengräber noch eingehender befassen. Wie hieß er gleich?«
»Heinrich Sahl«, erwiderte der Pfarrer, froh darüber, dass das Gespräch in überschaubare Bahnen gelenkt wurde.
»Ach, lieber Juch, könntet Ihr vielleicht so freundlich sein, mir einen Bogen Papier und eine Schreibfeder zur Verfügung zu stellen? Ich möchte mir das alles gerne
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