Das Geheimnis der Totenmagd
aufschreiben.«
Pfarrer Juch läutete seiner Haushälterin und beauftragte sie, dem Wunsch seines Gastes zu entsprechen.
Nachdem sich der Inquisitor mit zufriedener Miene verschiedene Notizen gemacht hatte, hob er den kantigen Gelehrtenschädel und erkundigte sich mit sanfter Stimme:
»Was ist er denn für ein Mensch, dieser Totengräber Heinrich Sahl?«
Pfarrer Juch nahm zu seinem Unbehagen wahr, dass ihm der Schweiß ausbrach. »Nun, ich muss leider zugeben, er ist … er ist nicht gerade eine Zierde unseres Peterskirchhofs«, entgegnete er verlegen. »Eigentlich hätte ich ihn schon längst aus dem Gemeindedienst entfernen müssen, allein meiner falschen Langmut ist es zu verdanken, dass er überhaupt noch in Lohn und Brot steht. Kurzum: Sahl ist ein arger Trunkenbold und, das muss ich leider so sagen, von seinen ganzen Lebensverhältnissen her und auch von seiner äußeren Erscheinung ein höchst verkommenes Subjekt.«
In die Augen des Inquisitors war ein eigentümlicher kalter Glanz getreten, während er des Pfarrers Worte noch auf sich wirken ließ. Dann verkündete er mit harter, metallischer Stimme:
»Ein haltloser, lasterhafter Mensch also. Das Laster aber ist des Teufels! – Ich werde diesen Lumpenhund zu allererst befragen.«
»Jederzeit, Herr Inquisitor … äh … Bruder Hubertus. Ich kann ihn gleich hierherbestellen lassen, wenn Ihr das wünscht.«
Ottenschläger unterbrach seine Aufzeichnungen und schien konzentriert nachzudenken. Doch auf seinem hageren Gesicht zeigte sich nicht das geringste Mienenspiel.
»Nein, nein, das wäre unklug«, erklärte er entschieden. »Bei dergleichen Kreaturen ist erfahrungsgemäß die Überrumpelungstaktik vorzuziehen.«
5
In den Morgenstunden polterte es heftig an Heinrich Sahls Kammertür. Der Totengräber, der sich aufgrund seiner Alkoholabstinenz die ganze Nacht schweißgebadet auf seinem Strohsack hin- und hergewälzt und kaum ein Auge zugetan hatte, sprang erschrocken auf und wankte zur Tür.
»Öffne Er auf der Stelle!«, vernahm er die aufgebrachte Stimme des Pfarrers. Ohne sich etwas überzuziehen, sperrte er verängstigt auf und stand gleich darauf Hochwürden Juch und seinem Begleiter im fleckigen, verschwitzten Nachtgewand gegenüber.
Die hohen Herren betrachteten ihn verächtlich, und der Pfarrer fuhr ihn an:
»Was ist Er doch für ein verkommenes Subjekt, Sahl! Kleide Er sich an und richte Er sich her. Wir haben schon die achte Stunde, und Er liegt noch auf der Bärenhaut. Man muss sich ja schämen, solch einen Lumpenhund in Diensten zu haben!«
Während sich Sahl mit bebenden Händen über die strähnigen Haare fuhr und seine schwarze Arbeitskutte überzog, zischte Juch gereizt:
»Beeile Er sich gefälligst! Der Herr Inquisitor Hubertus Ottenschläger ist von der heiligen Kurie mit der Aufklärung des Mordfalles Stockarn betraut und möchte Ihm ein paar Fragen stellen.«
»Was … was will er mich denn fragen?«, stieß der Totengräber angstvoll aus, und mit bangen Augen schaute er auf den hageren Mann in der braunen Mönchskutte, der neben dem Pfarrer stand. Ottenschläger, der die ganze Zeit über geschwiegen, den Totengräber aber keinen Moment aus den Augen gelassen hatte, verzog den schmallippigen Mund zu einem tückischen Lächeln, ehe er fragte:
»Hat Er vielleicht eine Ahnung, wie die Leiche ins Beinhaus gekommen ist?«
»Nein … ich weiß nicht so genau, aber … aber vielleicht …«, stammelte der Totengräber beklommen.
»Seht Ihr jetzt, mein lieber Freund, dass meine Entscheidung die richtige war?«, raunte Ottenschläger dem Pfarrer zu, der mit verächtlichem Blick auf den Totengräber erwiderte:
»Und ob! Der Kerl ist ja kaum in der Lage, eine vernünftige Antwort zu geben, und gebärdet sich wie einer, der nicht ganz bei Trost ist.«
»Oder wie jemand, der kein reines Gewissen hat«, zischte der Inquisitor und trat bedrohlich auf Sahl zu, bis er nur noch eine Handbreit von ihm entfernt stand.
»Also, Friedhofswärter, sprich Er jetzt endlich, und sag Er mir die ganze Wahrheit! Er hält doch etwas in der Hinterhand, das habe ich gleich bemerkt!«, schrie Ottenschläger dem Totengräber ins Gesicht, so dass Heinrich Sahl seinen unguten Atem riechen konnte.
»Ja, das stimmt«, murmelte Sahl mit dem Mut der Verzweiflung. »Da waren doch diese … diese unheimlichen Reigentänzer, die in der Nacht vor Allerseelen auf dem Friedhof ihr Unwesen getrieben haben. Ich habe sie beobachtet, die hatten so lange
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