Das Geheimnis der Totenmagd
Pfarrhaus kommen, um den Totengräber zu verhaften. Und dann ist der alte Trunkenbold zum Mainzerturm gebracht worden. Mehr weiß ich auch nicht.«
Katharina war den Tränen nahe, aber sie wollte sich vor dem bösartigen Weib keine Blöße geben. Stattdessen erkundigte sie sich beherrscht, ob sie den Herrn Pfarrer sprechen könne.
»Der Herr Pfarrer ist nicht da. Der ist heute Morgen mit dem Herrn Inquisitor weggegangen und noch nicht wieder zurück«, beschied sie die Wirtschafterin gewichtig.
Katharina drehte sich auf dem Absatz um und hastete grußlos durch die Friedhofspforte davon. Sie wollte zum Mainzerturm in der Hoffnung, den Pfarrer oder den Inquisitor dort anzutreffen. Je stärker ihre Wut wurde, die sie wie ein kräftiger Rückenwind vorantrieb, desto mehr begann sich der Kloß in ihrem Hals aufzulösen.
Als sie an ihrem Wohnturm links der Galgenwarte vorbeikam, hielt sie kurz inne und entschied sich spontan hinaufzugehen, um Ruprecht über alles zu informieren. Immerhin war er ja der beste Freund ihres Vaters und sollte davon erfahren, dass man ihn gefangengesetzt hatte. Außerdem konnte ihr Vater momentan jede Unterstützung gut gebrauchen.
Nachdem Katharina den noch schlafenden Nachtwächter geweckt und ihm von der überraschenden Verhaftung erzählt hatte, konnte sie schließlich doch nicht verhindern, dass ihr die Tränen kamen. In ihrer Verzweiflung ließ sie es zu, dass Rupp sie in die Arme schloss und liebevoll versuchte, sie zu trösten. Als er dabei aber zärtlich wurde und sogar seinen Kopf in ihre Haare vergrub, löste sie sich jäh aus seiner Umarmung und fuhr ihn aufgebracht an:
»Wir haben jetzt Wichtigeres zu tun als rumzuschmusen!«
Ihre Worte trafen den Nachtwächter wie ein Peitschenhieb. Er sank auf einen Hocker, barg sein Gesicht in den Händen und fing mit bebenden Schultern an zu weinen. Katharina, die spürte, dass sie zu weit gegangen war, ging neben ihm in die Hocke und stieß mit brüchiger Stimme hervor:
»Es tut mir leid, Onkel Rupp. Aber jetzt müssen wir uns um den Vater kümmern. Komm, beruhige dich, und lass uns überlegen, was wir tun können.« Versöhnlich tippte sie ihm an die Schulter, und der Nachtwächter trocknete sich die Tränen ab.
»Hast ja recht«, erwiderte er kehlig. »Das bin ich dem armen Heini schuldig. Ich würde sagen, wir machen uns jetzt gleich auf zum Mainzerturm und dringen darauf, den Pfarrer oder diesen Inquisitor zu sprechen. Wir sind dem Heini seine Angehörigen und haben ein Recht darauf, dass man uns anhört.«
Beim Anblick von Rupps verweinten Augen zog sich Katharinas Herz schmerzlich zusammen. Es dauerte sie, dass sie dem herzensguten Mann so häufig weh tun musste. Aber sie konnte es nun einmal kaum ertragen, von ihm angefasst zu werden. Im Grunde genommen war sie doch nur aus Mitleid all die Jahre bei ihm geblieben. Und ihrem Vater zuliebe.
Sie rückte ihre Haube zurecht, strich ihr Leinenkleid glatt und sagte: »Gut, dann lass uns gehen.«
Als sie unten auf der Gasse angelangt waren, bot der Nachtwächter Katharina ritterlich seinen Arm, und sie hakte sich bei ihm unter, bis sie vor dem Mainzerturm standen.
Ruprecht ergriff den schweren eisernen Türklopfer an der Pforte und ließ ihn gegen das Holz schmettern. Niemand rührte sich. Erst nachdem er noch mehrfach geklopft hatte, näherten sich endlich Schritte, und von innen wurde eine kleine Luke geöffnet. Ein feister Gewaltdiener erkundigte sich verdrießlich nach ihrem Begehr.
»Ich bin der Nachtwächter Ruprecht Bacher, und das ist meine Frau Katharina. Wir haben gehört, dass mein Schwiegervater, der Totengräber Heinrich Sahl, hier im Turm gefangen gehalten wird, und möchten höflich darum bitten, den Herrn Inquisitor oder Pfarrer Juch in der Angelegenheit zu sprechen«, sagte Rupp mit fester Stimme.
»Ich werde mal nachfragen«, erwiderte der Wachhabende knapp, ehe er die Luke verschloss und sich entfernte.
Den Wartenden erschien es wie eine halbe Ewigkeit, bis der Laden wieder geöffnet wurde.
»Ich soll Euch von dem Herrn Inquisitor ausrichten, Nachtwächter, dass er momentan nicht abkömmlich ist. Es wäre auch noch viel zu früh, etwas zu sagen, denn die Befragung des Totengräbers sei noch lange nicht abgeschlossen, hat er gemeint. Morgen wüsste man aber bestimmt schon mehr. Er werde den Pfarrer regelmäßig über den aktuellen Stand in Kenntnis setzen, und Ihr sollt Euch dann an den halten«, ratterte der Aufseher mit stumpfsinniger Miene herunter, ohne die
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