Das Geheimnis der Totenmagd
beiden ein einziges Mal anzusehen.
Katharina, die das Reden bislang anstandshalber ihrem Ehemann überlassen hatte, konnte nun nicht mehr an sich halten. In scharfem Ton fragte sie: »Was geht hier eigentlich vor? Ich will sofort mit dem Inquisitor reden und zu meinem Vater gelassen werden.«
»Das wird nicht gehen. Gefangene dürfen nur in Sonderfällen Besuch erhalten, und der Inquisitor kann zurzeit niemanden empfangen«, beschied sie der Wärter dröge und vermied es auch weiterhin, sie anzuschauen.
»Das geht doch aber nicht!«, mischte sich nun Rupp erneut ein und bemühte sich um einen amtlichen Tonfall. »Es ist doch unser gutes Recht, dass man uns als Angehörige in Kenntnis setzt.«
»Das werdet Ihr ja auch. Zu gegebener Zeit. Nur halt jetzt noch nicht. Glaubt mir, Nachtwächter, das ist alles rechtens und geht schon seinen geregelten Gang. Geht morgen zu Pfarrer Juch, dann erfahrt Ihr mehr. – Gott zum Gruße.« Und damit schlug er die Luke zu.
Katharina war so fassungslos, dass sie zunächst nur stumm dastand. Dann stürzte sie nach vorne und hämmerte gegen die Tür. Sie verlangte mit aller Vehemenz, dass man ihr öffne, rief immer lauter und lauter, bis ihr schließlich die Stimme brach und sie Ruprecht weinend in die Arme sank.
Weder sie selbst noch Rupp hatten bemerkt, dass sie die ganze Zeit aus einer schmalen Fensteröffnung oberhalb des Turmes beobachtet wurden. Erst als sie sich entfernten, zog sich auch der Schatten zurück.
»So eine schöne Tochter hätte ich diesem Lumpenhund gar nicht zugetraut«, spottete der Inquisitor, als er hinter sich den Gewaltdiener gewahrte.
»Wohl wahr«, murmelte dieser und geleitete ihn mit einer Fackel zurück in den Verhörraum.
König Tod
Als ich an jenem drückend heißen Spätsommertag in der kleinen Ortschaft Gückingen eintraf, meine Liebe, mochte ich meinen Augen nicht trauen, so sehr hatte sich das einst so malerische Dörfchen verändert. Der Ort wirkte wie ausgestorben, die ungemähten Weiden waren übersät von aufgetriebenen, verwesten Tierkadavern, und auf den Feldern verdorrte die überreife Frucht. Keine Menschenseele begegnete mir, als ich den ansteigenden Weg zum Landgut der Herren von Gückingen einschlug. Beim Anblick des prächtigen Anwesens, welches seit Jahrhunderten im Besitz meiner Familie war, beschlich mich ein mulmiges Gefühl: Wie mochte es meiner Mutter wohl ergangen sein in diesen schrecklichen Zeiten?
Als ich durch das geöffnete Portal in den Innenhof ritt, gewahrte ich eine Frau, die am Ziehbrunnen Wasser schöpfte. Da ich annahm, es handelte sich um eine Bedienstete, sprach ich sie an und trug ihr auf, umgehend der Freifrau zu melden, dass ich eingetroffen sei. Dann solle sie den Stallburschen Bescheid geben, damit mein Pferd versorgt werde. Doch anstatt meinen Anweisungen Folge zu leisten, wandte mir die Frau ein vulgäres, grell geschminktes Gesicht zu und brach in lautes, kehliges Gelächter aus. Erzürnt stieg ich vom Pferd und trat auf sie zu, um ihr für ihr unziemliches Gebaren eine Maulschelle zu verpassen. Doch ich bemerkte mit Befremden, dass die Dirne – denn um nichts anderes konnte es sich bei dem frechen Weibsbild handeln – in ein seidenes Gewand gekleidet und über und über mit Geschmeide behängt war, welches ich mit wachsender Bestürzung als Teil des Familienschmucks erkannte. Als ich schon die Hand zum Schlage erhoben hatte, schüttete mir die Kanaille einen Bottich Wasser ins Gesicht, stemmte die Arme in die Hüften, knickste hämisch in meine Richtung und krähte laut, dass es über den ganzen Hof hallte:
»Hat sich was, mit deiner Freifrau, mein Kleiner! Musste halt mit mir vorliebnehmen. Gestatten: Cornelia, Freifrau von Rotz, mein Name.« Daraufhin brach sie erneut in schallendes Hohngelächter aus. Außer mir vor Rage wollte ich mich auf sie stürzen, als mich von hinten unversehens ein heftiger Keulenschlag ereilte, der mir auf der Stelle das Bewusstsein raubte.
Nachdem ich wieder zu mir gekommen war, tat mir mein Kopf dermaßen weh, dass schon die kleinste Bewegung genügt hätte, mich wieder ohnmächtig werden zu lassen. Rings um mich herrschte finstere Nacht. Mit größter Mühe richtete ich mich auf, um herauszufinden, wo ich mich befand. Ein starker Verwesungsgeruch, der mir in den vergangenen Wochen nur allzu vertraut geworden war, stieg mir in die Nase. Schemenhaft konnte ich vor mir eine hohe Steinmauer erkennen, hinter der sich ein Hausgiebel erhob. Als ich endlich auf
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