Das Geheimnis der Totenmagd
schwarze Kutten an und sahen aus wie Geister. Und in der Mitte des Kreises stand der Gevatter Tod …«
»Was sind denn das für Ammenmärchen! Will Er mich etwa verhöhnen? – Hüte Er sich, Bursche!« Die Drohung hatte der Inquisitor mit einer solch eisigen Ruhe von sich gegeben, dass Sahl regelrecht das Blut in den Adern stockte.
»Das ist die Wahrheit! Ich schwöre es bei allem, was mir heilig ist. Wahrscheinlich haben diese Unholde auch die Frau getötet. Das wollte ich dem Herrn Pfarrer schon die ganze Zeit sagen, ich bin nur noch nicht dazu gekommen.« Sahls heiseres Flüstern ging mehr und mehr in ein Wimmern über. »Und das, das wollte ich Euch auch geben. Die … die habe ich gestern auf dem Friedhofsweg gefunden«, stotterte er und nestelte mit bebenden Händen die Gemme aus der Tasche seiner Arbeitskutte.
Entgeistert starrten der Pfarrer und der Inquisitor auf das kostbare Schmuckstück.
»Seht, seht«, tönte der Dominikaner höhnisch. »Ich glaube, jetzt ist der Moment gekommen, dem Verdächtigen härtere Bandagen anzulegen. – Lieber Freund Juch«, wandte er sich an den Pfarrer, »wir müssen unbedingt die Polizeibüttel herbestellen. Könntet Ihr vielleicht so freundlich sein und das Nötige veranlassen?«
Wenig später erteilte der Inquisitor den Stadtbütteln die Anweisung, Sahl zu inhaftieren. Während die Schergen Sahl in Ketten legten, schrie dieser verzweifelt: »Ich habe doch nichts Böses getan! Ich bin unschuldig! Bitte, Herr Pfarrer, ich flehe Euch an, so helft mir doch!«
Pfarrer Juch indessen setzte nur ein unbeteiligtes Gesicht auf, drehte sich um und ging zum Pfarrhaus, wo ihm seine Haushälterin, von den gellenden Schreien alarmiert, mit bestürzter Miene entgegeneilte.
»Ich hab’s doch gewusst, dass von dem nix Gutes kommt!«, kreischte sie aufgeregt und schlug die Hände über dem Kopf zusammen.
»Herr Pfarrer, so helft mir doch bitte«, brüllte Heinrich immer wieder mit sich überschlagender Stimme, während ihn die Büttel zum Friedhofstor zerrten. »Das könnt Ihr doch nicht zulassen. Ich hab Euch doch all die Jahre treu gedient!«
Juch presste sich entsetzt die Hände an die Ohren, stürzte hektisch ins Pfarrhaus und schlug die Tür hinter sich zu.
Man brachte den gequält wimmernden Totengräber zum städtischen Gefängnis im Mainzerturm und übergab ihn den Turmwächtern. Unterwegs wurde der Gefangene von zahlreichen Passanten angegafft, mit üblen Schmährufen bedacht und mit allerlei Unrat beworfen.
Die Gefängniswärter wurden, wie vom Inquisitor befohlen, instruiert, den Gefangenen unter höchster Sicherheitsstufe zu verwahren. Daraufhin führten sie den Totengräber, der nur noch fassungslos vor sich hin starrte, in ein enges, finsteres Verlies, wo sie ihn wie einen gefährlichen Schwerverbrecher an die Wand ketteten. Seine Füße wurden in einen dicken Holzkeil geklemmt, der ihm das Laufen und Umhergehen unmöglich machte. Sahl ließ alles ohne jede Gegenwehr über sich ergehen.
Unterdessen suchten der Pfarrer und der Inquisitor die Angehörigen der toten Patriziertochter in ihrem Stadtpalais in der Fahrgasse auf. Nachdem Hubertus Ottenschläger der Familie in aller Form zu dem tragischen Tod ihrer Anverwandten kondoliert hatte, zeigte er den Eltern und der Schwester von Mechthild Stockarn das beschlagnahmte Schmuckstück.
Unter Tränen bekundeten die Trauernden einstimmig, dass die Gemme der Ermordeten gehört habe.
*
Um die Mittagszeit betrat Katharina den Friedhof, um dem Vater das Essen zu bringen. Als sie am Pfarrhaus vorbeikam, wurde sie durch lautes Klopfen an der Fensterscheibe aufgeschreckt. Verwundert blieb sie stehen. Im nächsten Moment riss die korpulente Haushälterin des Pfarrers den Fensterflügel auf und rief ihr mit unverhohlener Schadenfreude zu:
»Den Besuch kannst du dir sparen, Totenmagd. Dein Alter sitzt im Mainzerturm!«
Katharina war wie vor den Kopf gestoßen. »Was sagt Ihr da? Das kann doch nicht sein …«, murmelte sie bestürzt. »Was … was ist denn passiert?«
Der Matrone schien ihre Fassungslosigkeit Genugtuung zu bereiten. »Na, der Sahl ist heute Morgen von dem Herrn Inquisitor persönlich zum Mord an der jungen Stockarin befragt worden. Und der Eindruck, den er dabei auf den hohen Herrn gemacht hat, ist wohl nicht so günstig gewesen«, erklärte sie gehässig. »Jedenfalls hat mich der Herr Pfarrer zur Polizeiwache ins Leinwandhaus geschickt, um den Stangenknechten zu sagen, sie sollten umgehend zum
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