Das Geheimnis der Totenmagd
Meister Hans zusammen mit seinem Schergen den Bewusstlosen in den Kerker. Als sie Sahls leblosen Körper auf das faulige Stroh gebettet hatten, holte der Henker unter seinem Wams eine Branntweinflasche hervor, öffnete sie und trank in tiefen Zügen, ehe er sie an den Schergen weiterreichte.
»Es ist schon abscheulich, was unsereiner diesen armen Schweinen im Auftrag der Herren Inquisitoren alles zufügen muss, nur weil sich die feinen Kuttenträger ihre Hände nicht dreckig machen wollen«, sagte er. »Schlimmer als alles andere sind aber ihre frommen Mönchsgesichter, in denen du genau sehen kannst, wie sehr sie das Entsetzliche genießen. Und dieser Ottenschläger, das ist einer von den Schlimmsten. Mich kann ja so leicht nichts mehr grausen, aber wenn ich in dem seine Fratze gucke und sehe, wie den das anstachelt, könnte ich das Kotzen kriegen.« Verächtlich spuckte er auf den Boden.
»Da ist schon was Wahres dran, Meister. Aber was willste machen?«, erwiderte der Henkersknecht und nahm einen tiefen Schluck aus der Flasche.
»Hör mal, Jerg, kannste mir vielleicht einen Gefallen tun?«, fragte Meister Hans seinen Gehilfen, der ihn erstaunt anblickte. »Bleib heute Nacht bei dem da, und verscheuch mir die Ratten. So, wie der nach Blut stinkt, kommen die Mistviecher doch bald in Scharen angelaufen, und dann ist von ihm bald nix mehr übrig. – Ich lass dir auch den Schnaps da. Da kannst dich ein bisschen stärken.«
»Von mir aus. Wenn ich dabei auch noch e bissche schlafe kann, soll mers recht sein«, entgegnete der Henkersknecht mürrisch und steckte die Branntweinflasche in seine Jackentasche.
»Schlafen kannste schon, aber bleib mir zwischendurch wachsam, damit von dem morgen früh noch was übrig ist«, sagte Meister Hans grinsend und klopfte dem Büttel kameradschaftlich auf die Schulter. Dann reichte er ihm eine kleine Glasphiole.
»Und das hier gibste dem, wenn er wach wird. Damit der net vor Schmerz die Wänd hochgeht.«
Meister Hans verabschiedete sich. Nach dem langen zermürbenden Tag hatte er es eilig, den Gefängnisturm zu verlassen. Er hastete die steile Wendeltreppe herunter, um sich in einer der nahe gelegenen Schenken rasch einen Rausch anzutrinken.
Als Katharina vor dem Mainzerturm gerade die Hand ausstreckte, um den Türklopfer zu betätigen, kam plötzlich ein Mann im grünroten Wams herausgestürzt. Fast wäre er mit ihr zusammengestoßen. Katharina erschrak, als sie den Henker erkannte, und wich unwillkürlich ein Stück zurück. Denn der Scharfrichter galt als unberührbar, schon der geringste Kontakt mit ihm war verpönt. Hastig murmelte der Henker eine Entschuldigung und wollte schon weitergehen, da nahm Katharina ihren ganzen Mut zusammen und sagte: »Meister Hans, wartet doch bitte einen Moment …«
Erstaunt drehte er sich um und starrte sie an. Die Totenwäscherin schluckte. Der hünenhaft große Mann mit dem blutroten Samtbarett auf den schulterlangen schneeweißen Haaren war ihr unheimlich. Doch ihre Verzweiflung war größer als ihre Angst, und so hielt sie an sich und fragte mit bebender Stimme: »Kann ich bitte den Herrn Inquisitor sprechen? – Ich bin Katharina Bacher, die Tochter von Heinrich Sahl.«
»Der Inquisitor ist schon nach Hause gegangen«, erwiderte Meister Hans. Er vermochte der jungen Frau, deren Vater er gerade noch bis aufs Blut gequält hatte, nicht in die Augen zu sehen.
Katharina gab nicht auf. »Wo kann ich ihn denn finden? Es ist wichtig. Ich muss unbedingt mit ihm sprechen. Es geht um meinen Vater«, erläuterte sie mit kummervoller Miene.
»Er logiert im Dominikanerkloster. Aber da braucht Ihr gar nicht erst hinzugehen, Frauen lassen die da sowieso nicht rein.« Der Angstmann zuckte ratlos mit den Schultern. Er konnte der Totengräbertochter nicht helfen. Ihn gelüstete es nach einem kühlen Bier, um sich nach der langen grausamen Folter den Ekel vom Gemüt zu spülen.
Als Katharina daraufhin schwieg, wollte er sich schon mit den Worten »Gott zum Gruße, Bacherin« von ihr verabschieden und davoneilen, doch die Totenwäscherin ließ sich nicht so leicht abschütteln.
Flehentlich bat sie: »Meister Hans, könnt Ihr mich bitte zu meinem Vater bringen! Ich muss mit ihm reden und … er braucht doch meinen Beistand.«
»Das kann ich nicht machen!«, entgegnete der Scharfrichter entschieden.
»Bitte, so lasst mich doch zu ihm! Ich will ihm nur ein wenig Trost spenden.«
»Jetzt lasst mir endlich meine Ruhe, Bacherin! Ich kann Euch nicht
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