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Das Geheimnis der Totenmagd

Das Geheimnis der Totenmagd

Titel: Das Geheimnis der Totenmagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Neeb
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Schwiegervaters und besten Freundes halbwegs ertragen zu können, verflüchtigte sich bereits, und er fühlte sich hundeelend. Wie miserabel muss sich erst der arme Heini fühlen , ermahnte er sich streng und murmelte zum wiederholten Mal ein inbrünstiges »Gott steh ihm bei!«
    Als kurz vor der zwölften Stunde allmählich der Bürgermeister und die Ratsherren eintrafen, hatten sie große Mühe, durch den dichten Menschenpulk zur eigens zu ihrer Bequemlichkeit errichteten Ehrentribüne zu gelangen. Kurze Zeit später erschien auch der Inquisitor, gefolgt von einer Abordnung des Frankfurter Klerus, und bahnte sich seinen Weg durch das Gedränge. Das wurde ihm freilich um einiges erleichtert, weil die Menschen in großer Scheu versuchten, dem hageren Mönch mit den harten, asketischen Gesichtszügen und dem kalten, stechenden Blick auszuweichen, wie sie nur konnten – was nicht ohne Stoßen und Schlagen abging.
    Als Ottenschläger mit unbeweglicher Miene seinen Ehrenplatz am oberen Ende der Sitztribüne einnahm, von wo aus man den besten Überblick auf das blutrote Schafott hatte, hatte es unter dem Hinrichtungspublikum schon die ersten Handgemenge und Rangeleien gegeben.
    *
    Den ganzen Morgen über hatte Anna hin und her überlegt, wie sie es vermeiden konnte, ihre Eltern zur Hinrichtung zu begleiten. Alles in ihr sträubte sich dagegen, das grausige Ereignis mit ansehen zu müssen. Sie hatte sich schließlich ins Bett gelegt und sich trotzig die Decke über die Ohren gezogen. Als es kurz nach der elften Stunde an ihre Tür klopfte und sie die Stimme des Vaters daran gemahnte, dass sie gleich aufbrechen müssten, erwiderte sie mit belegter Stimme: »Ich kann nicht mit, ich bin krank!«
    Empört riss der Vater die Tür auf. »Nichts da. Du stehst jetzt auf, ziehst deine Trauerkleidung an und kommst mit uns. Das bist du deiner armen Schwester schuldig«, befahl er ihr streng und bedachte sie mit einem unduldsamen Blick.
    »Was soll das heißen?« Anna richtete sich wütend auf. »Dafür zu sorgen, dass Mechthilds wahrer Mörder gefunden wird, das wäre ich ihr schuldig gewesen! Und ihr im Übrigen auch! So, und jetzt lass mich gefälligst in Ruh. Ich habe Halsschmerzen und Fieber und möchte heute im Bett bleiben.«
    »Anna, ich will von deinen Hirngespinsten nichts mehr hören!«, schrie der Familienpatriarch erzürnt. »Du nimmst dich jetzt gefälligst zusammen und stehst auf. Was sollen denn die Leute denken? – Der Schurke, der unsere Mechthild auf dem Gewissen hat, wird hingerichtet, und wir, als die Angehörigen des Opfers, halten es noch nicht mal für nötig, dabei anwesend zu sein. Die Hinrichtung dieses Scheusals ist eine Genugtuung für unsere Familie …«
    »Das stimmt nicht! Es ist eine Schande für uns, weil es der Falsche ist, der dafür büßen muss!«
    »Bitte, Anna, tu mir das nicht an, und komm mit«, mischte sich nun händeringend ihre Mutter ein. »Haben wir denn nicht schon genug gelitten? Müssen wir nun auch noch deine Launen ertragen?«
    Anna seufzte und gab nach. »Ist ja gut, Schmerzensmutter«, murmelte sie höhnisch und erhob sich aus dem Bett. »Ich muss mich bloß noch ein wenig herrichten. Aber wie du weißt, liebe Mutter, geht das bei mir ja schnell.« Wie lästige Besucher komplimentierte sie die Eltern aus ihrer Stube hinaus.
    Als Anna wenig später auf den Hof hinaustrat, fragte sie sich verblüfft, wo denn der ganze Schnee geblieben war. Während der vier Tage ihres Hausarrestes hatte der Regen auch noch das letzte Fleckchen Weiß weggewaschen. Grau in Grau offenbarte sich wieder trübselig der November. Anna warf einen Blick in den wolkenverhangenen Himmel und fühlte sich einfach hundsmiserabel. Wenn es ihr jetzt schon so zum Heulen zumute war, wie würde es ihr dann erst bei der Hinrichtung ergehen? Aber sie ermahnte sich, Haltung zu bewahren, obwohl ihr das Herz blutete, wenn sie an den armen Heinrich Sahl und an Katharina dachte. Wie verzweifelt mochte sie wohl sein, ging es ihr einmal mehr durch den Sinn, und sie wünschte sich sehnlichst, bei ihr sein zu können und sie tröstend in die Arme zu schließen.
    Anna spürte einen dicken Kloß im Hals und zog sich die weite Kapuze ihres Trauermantels aus schwarzer Seide tief ins Gesicht, während sie wie in Trance in die schwarze Sänfte stieg und, ohne auch nur ein einziges Wort an ihre Eltern zu richten, mit brüsker Bewegung den schwarzen Vorhang zuzog. Obwohl sie es normalerweise vorzog, zu reiten oder zu Fuß zu

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