Das Geheimnis der Totenmagd
Kappe aus Biberhaaren auf dem Haupt, stellte sich als Stadtphysikus Leonhard Stefenelli vor und nahm sich sogleich der Ohnmächtigen an. Mit festem Griff unter die Achseln richtete er Katharinas Oberkörper auf, während er ihren baumelnden Kopf mit der flachen Hand behutsam nach vorne drückte.
»Das muss sein, damit das Blut herauslaufen kann und sie daran nicht erstickt«, erläuterte er fachmännisch. Dann wies er die beiden Männer an, die Bewusstlose vorsichtig anzuheben und sie unter das Schafott zu tragen, den einzigen Platz in der ganzen Umgebung, wo es nicht vor Menschen wimmelte, damit er sie dort ungestört behandeln könne. Als sich ihnen die Stangenknechte breitbeinig in den Weg stellten, herrschte sie der Stadtarzt an, sie sollten sich augenblicklich trollen und ihn seine Arbeit machen lassen, sonst werde er sich beim Bürgermeister höchstpersönlich über sie beschweren. Sie fügten sich widerwillig.
So ergab es sich, dass just in dem Moment, als Heinrich Sahl oben auf dem Schafott endgültig aus dem Leben schied, sich direkt unter ihm der Doktor darum mühte, Katharina dem Leben wieder zuzuführen.
»Wir müssen sie unbedingt so bald wie möglich hier wegbringen«, murmelte der Arzt ernst. »Sie muss richtig versorgt werden.«
»Dann tragen wir sie am besten zum Spital«, schlug Florian vor und wollte schon zugreifen, doch Doktor Stefenelli hielt ihn zurück:
»Halt. Warten wir doch noch, bis sich der Pöbel zerstreut hat, dann bleiben wir unbehelligt.«
»Da kann ich Euch nur zustimmen, Herr Medicus«, mischte sich Bacher ein, dem es nicht gefiel, dass Florian sich so in den Vordergrund drängte.
Der Stadtphysikus träufelte der Ohnmächtigen, deren Kopf er fürsorglich auf seinen Schoß gebettet hatte, behutsam einige Tropfen einer Tinktur in die Nasenlöcher. Ruprecht und Florian standen schweigend dabei und blickten besorgt auf Katharina.
Nachdem die Menge noch kurz zuvor besonders laut gegrölt und gejohlt hatte, war es inzwischen merklich ruhiger geworden, und das dichte Gedränge auf dem Galgenfeld schien sich allmählich zu lichten.
Ruprecht spähte über den Richtplatz. »Ich denke, wir können uns jetzt aufmachen. Ich werde meine Frau auf den Armen tragen, das wird schon gehen. Sie ist ja leicht wie eine Feder«, erklärte er, hob Katharina vom Boden auf und bettete sie auf seine Arme, während Florian und Doktor Stefenelli sich an seiner Seite hielten.
»Ich kann Euch nachher gerne ablösen, wenn Ihr wollt. Es ist ja ein weiter Weg bis zum Heiliggeistspital«, wandte sich Florian an Katharinas Ehemann.
»Danke für Euer Angebot, aber das wird nicht nötig sein. Das schaffe ich schon alleine – zumal ich der Kräftigere von uns beiden bin«, erwiderte Ruprecht abweisend und streifte den schlanken Meisterschüler mit einem spöttischen Blick.
»Gestattet Ihr trotzdem, dass ich Euch noch ein Stück weit begleite?«
»Von mir aus«, brummelte Ruprecht bärbeißig.
Während sie über das Galgenfeld schritten, näherte sich ihnen ein seltsam gewandeter Mann. Er trug einen langen dunkelgrauen Mantel und einen spitz zulaufenden roten Hut, und die Männer erkannten in ihm den städtischen Abdecker und Hundshäuter Edu Dunckel und blickten ihn verwundert an.
»Ihr könnt meinen Leiterwagen haben, dann braucht Ihr sie net zu tragen«, bot er an. »Ich kannte den Heini, das war ein guter Kerl, und wenn ich Euch irgendwie helfen kann, mach ich das gern.«
»Ich weiß nicht recht …«, murmelte Ruprecht mit unsicherer Miene und schaute den Arzt fragend an. »Meine Frau auf den Abdeckerkarren legen? Ob ich ihr das zumuten soll?«
»Ich denke, Ihr solltet das Angebot ruhig annehmen. Auf dem Wagen liegt sie doch besser, als wenn Ihr sie schleppen müsst. Und wenn der Kopf noch abgepolstert wird, ist dagegen nichts einzuwenden«, empfahl Doktor Stefenelli pragmatisch, worauf sich der Abdecker auch sogleich zu seiner nahe gelegenen Wohnstatt begab, um den Karren zu holen.
Nachdem Katharina wenig später von dem Arzt sorgsam auf den Leiterwagen gebettet worden war, ließ es sich Ruprecht selbstverständlich nicht nehmen, den Wagen alleine zu ziehen.
Als sie schweigend die Galgenpforte passierten, schlug der Doktor vor, den Weg in die Sandgasse einzuschlagen.
»Dort befindet sich mein Wohnhaus, wo ich über einen Behandlungsraum verfüge. Dann müssen wir nicht den weiten Weg zum Hospital auf uns nehmen.«, erläuterte er dem Nachtwächter.
»Soll mir recht sein«, erwiderte Ruprecht
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