Das Geheimnis der Totenmagd
gelegen sein, die wahrhaft Schuldigen ausfindig zu machen und dadurch seine Unschuld zu beweisen. Meinst du nicht auch, dass du das deinem armen Vater schuldig bist?«
Zum ersten Mal seit ihrer Begegnung zeigte sich so etwas wie Bedauern in Katharinas gleichgültiger Miene, und die befremdliche Leidenschaftslosigkeit verflüchtigte sich für einen Augenblick. Anna ergriff Katharinas kalte, wie leblos anmutende Hand, drückte sie und schlug voller Begeisterung vor: »Komm, lass uns doch gemeinsam dieser neuen Spur nachgehen!«
Doch anstatt ihr zuzustimmen, entzog ihr die Totengräbertochter ihre Hand und bemerkte reserviert: »Ich glaube dennoch nicht, dass ich in der Sache noch etwas unternehmen will.«
Anna traf die kalte Abfuhr wie ein Keulenschlag. Sie erhob sich hastig von den steinernen Treppenstufen, zitternd vor Kälte und innerer Erregung.
»Bitte entschuldigt, dass ich Euch belästigt habe, Bacherin«, erwiderte sie gepresst. »Gott sei mit Euch!«
Draußen strömten ihr vor Enttäuschung die Tränen übers Gesicht, und sie beschloss erbittert, Katharina nicht mehr zu behelligen.
*
Gleich nachdem Ruprecht Bacher am Abend zu seinem Dienst aufgebrochen war, machte sich Katharina mit großer Sorgfalt zurecht. Sie zog ihr bestes Winterkleid aus dunkelblauem Tuch an und setzte eine frischgestärkte blütenweiße Haube auf. Dann streifte sie sich anstelle der in der kalten Jahreszeit üblichen Filzstiefel die feinen wildledernen Kuhmaulschuhe, die sie sich von dem Silberdukaten der Hurenkönigin gekauft hatte, über die zierlichen Füße und machte sich mit wild pochendem Herzen auf den Weg.
In Gedanken versunken drückte sie die knarzende Holztür auf und trat aus dem steinernen Turm nach draußen. Der Eisregen stob ihr unangenehm ins Gesicht. Sie zog ihr braunes Tuch enger um sich und wandte sich in Richtung Galgengasse. Heftige Windböen zerrten an ihrem Gewand. Mit einer Hand hielt sie ihre Kopfbedeckung fest und mit der anderen ihren wollenen Schulterumhang, während sie mit gesenktem Kopf durch die Gasse hastete.
Als sie sich Florians Häuschen an der Stadtmauer näherte, gewahrte sie Licht hinter den Butzenglasfenstern und beschleunigte ihren Schritt. Ausgerechnet heute wollte sie ihm auf keinen Fall begegnen! Doch just in dem Moment, als sie sich an seinem Haus vorbeidrücken wollte, trat Florian aus der Tür und kam ihr mit energischen Schritten entgegen. Katharina runzelte die Stirn.
»Katharina, was freue ich mich, Euch zu sehen!« Seine Augen leuchteten, obwohl der Eisregen sein Haar benetzte und er ohne Mantel der Kälte schutzlos ausgesetzt war. »Den ganzen Tag schon habe ich an Euch denken müssen. Ich habe nur nicht gewagt, Euch zu Hause zu behelligen, das hätte Euer Mann gewiss nicht gerne gesehen«, fügte er hinzu.
»Darin habt Ihr auch recht getan«, entgegnete Katharina kühl.
»Wo wollt Ihr denn so spät noch hin?«, fragte Florian. »Darf ich Euch vielleicht ein Stück begleiten?« Er lächelte, und trotz des wenigen Lichtes, das in der düsteren Gasse auf sein Gesicht fiel, war die Röte deutlich zu bemerken, die für einen Moment seine Wangen färbte. »Ihr seid noch blass, vielleicht solltet Ihr besser noch das Bett hüten, als bei diesem unwirtlichen Wetter vor die Tür zu gehen«, äußerte er besorgt.
»Danke, mir geht es gut, und Ihr braucht mich auch nicht zu begleiten«, stieß Katharina hervor. »Ich bin in Eile, Florian. Gehabt Euch wohl.« Sie wollte sich abwenden, doch Florian hielt sie am Ärmel fest.
»Katharina, so wartet doch.«
»Was gibt es denn noch?« Unwirsch schüttelte sie seine Hand ab und bereute mit einem Mal fast, dass sie sich auf einen vertraulichen Umgang mit dem jungen Kunstmaler eingelassen hatte.
»Ich wollte Euch warnen«, murmelte Florian ernst.
»Warnen?«, fragte sie erstaunt. »Was kann mir denn noch Schlimmes widerfahren? Ich bin doch fertig mit der Welt.«
»Aber die Welt ist noch nicht fertig mit Euch. Zumindest ich bin es nicht«, erwiderte der Meisterschüler sanft und nachdrücklich zugleich. »Hört mich an, um unserer Freundschaft willen.«
»In Gottes Namen, aber macht es kurz.« Sie zog sich das Tuch noch etwas enger um die Schultern. Wind und Regen waren stärker geworden, und in der Gasse war es zugig.
Florians Gesicht war ernst. Er wollte ihre Hand ergreifen, doch sie wich zurück, bevor er sie berühren konnte. »Ich wollte Euch vor diesem Arzt warnen, diesem Doktor Stefenelli. Die ganze Nacht habe ich kein Auge
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