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Das Geheimnis der Totenmagd

Das Geheimnis der Totenmagd

Titel: Das Geheimnis der Totenmagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Neeb
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Nager entdeckt hatte, blieb er plötzlich wie angewurzelt stehen und stammelte bestürzt: »Sapperlot Marie, was ist denn das für eine Sauerei!«
    Vor ihm lag in einer riesigen Lache gefrorenen Blutes, das in der Morgensonne glitzerte wie rubinrotes Muranoglas, die kreidebleiche Leiche eines jungen Mannes. Die Gestalt war in eine schwarze Kutte gehüllt, und aus der weiten Kapuze ragte ein eingefallenes Antlitz, welches mit der abgefressenen Nasenspitze fürwahr schauerlich anmutete. Entsetzt starrte der Schundmummel auf den Leichnam, seine Atemzüge wurden pfeifend, er stützte sich auf den Spaten wie auf eine Krücke und presste keuchend hervor: »Ach, du großer Gott, des is ja de staubische Tobi! Da muss ich Meldung mache.«
    *
    »Der Tote weist eine Schnittwunde an der Halsschlagader auf und ist vollständig ausgeblutet. Außerdem trägt er einen schwarzen Trauermantel. Nach dem Bekunden des Abdeckers, der ihn am Morgen auf dem Friedhof der Schandbaren neben dem Geräteschuppen gefunden hat, handelt es sich um den Gassenkehrer und Grabenfeger Tobias Borndörfer, der im Galgenviertel seine Wohnstatt hat«, rapportierte Untersuchungsrichter Lederer, den der Frankfurter Magistrat mit der Visitation der Leiche betraut hatte, ohne seinen Redefluss auch nur einmal durch Atemholen zu unterbrechen. Neben ihm standen die Ratsherren Fichard und Neuhaus, die als Einzige an dem stets sehr arbeitsreichen ersten Wochentag im Römerrathaus abkömmlich gewesen waren.
    »Ach, der staubische Tobi ist das! Ja, der kehrt doch in Frankfurt die Gassen, seit er ein Bub ist. Der säubert auch den Gänsegraben. Ein Mann für den niederen Dienst, aber fleißig und sich auch für nix zu schade. Bei der letzten Pest hat der sich als Pestknecht verdingt. Na ja. War halt ein armer Teufel«, knarzte Neuhaus mit nachsichtigem Lächeln.
    »Wieso denn arm? Wie meint Ihr das?«, erkundigte sich Lederer schwerfällig. »Bei so einem hält sich mein Mitleid in Grenzen. Ein Lumpenhund aus dem Galgenviertel, wo Mord und Totschlag an der Tagesordnung sind!«
    »Ei, Lederer, jetzt mach aber mal halblang!«, rief ihn Neuhaus zur Räson. »Jeder weiß doch, dass der nicht ganz dicht da oben war.« Der Ratsherr tippte sich mit spöttischem Grinsen an die Stirn.
    »Ach so, Ihr meint, der war nicht mehr ganz gescheit«, entgegnete der Untersuchungsrichter, der nicht gerade für seine schnelle Auffassungsgabe bekannt war, und blinzelte verständnisssinnig.
    »Schön, dass Ihr wenigstens das versteht, Lederer«, erwiderte Neuhaus mit unverhohlenem Hohn und fuhr dann bar jeder Leutseligkeit in kühlem, amtlichen Tonfall fort: »Es war allgemein bekannt, dass der Mann gemütskrank und schwermütig war. Von daher muss mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass er selber Hand an sich gelegt hat und nicht, wie Ihr es uns vorhin weismachen wolltet, umgebracht worden ist.«
    »Was soll das heißen?«, empörte sich Lederer. »Der hat halt einen Schnitt am Hals, und weit und breit war kein Messer zu sehen, geschweige denn, dass er eines in der Hand gehalten hätte, was ja ein sicherer Hinweis für eine Selbsttötung gewesen wäre. Und dann die schwarze Kutte, die der anhatte. Das kam mir schon ein bisschen komisch vor. Hatte nicht die Tote aus dem Beinhaus auch so einen Trauermantel an? Und ausgeblutet war die ja auch. Bei der ist man auch nicht von einem Freitod ausgegangen. Deswegen …«
    »Deswegen hat ja auch ihren Mörder längst seine gerechte Strafe ereilt«, unterbrach ihn nun der Senatsangehörige Fichard barsch. »Lederer, bevor Ihr hier weiterhin falsche Schlüsse zieht, solltet Ihr Euch eines klarmachen: Das sind zwei völlig unterschiedliche Fälle, die man schwerlich miteinander vergleichen kann. Nur eines haben sie gemeinsam: Die Sachverhalte liegen klar auf der Hand. Im Falle der Jungfer Stockarin konnte der Mörder recht bald überführt und für sein abscheuliches Verbrechen angemessen bestraft werden, im Falle des gemütskranken Gassenkehrers muss hingegen, wie bei dergleichen Unsinnigen weit verbreitet, von einem Freitod ausgegangen werden. Das heißt für Euch, dass Ihr Euch fürderhin in der Angelegenheit keine Arbeit mehr zu machen braucht. Weißt den Schundmummel an, die Leiche alsbald auf dem Schindanger unter die Erde zu bringen«, beschied der studierte Jurist den Untergebenen in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete. Er warf seinem Senatskollegen, mit dem er die unliebsame Angelegenheit zuvor im Beisein des

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