Das Geheimnis der Totenmagd
wieso denn? Du bist doch Arzt geworden.«
»Über Umwege, meine Liebe, über Umwege«, erwiderte er versonnen. In den langen Nächten berichtete er ihr von seinen ersten schicksalhaften Begegnungen mit dem Tod, damals, als er bei Verwandten in Frankfurt weilte, wo genau wie im ganzen Land die Pest ausgebrochen war.
Wie im Halbschlaf lauschte sie seinen düsteren Geschichten, trunken vor Glück und trunken vom Wein, und im Nachhinein erschien es ihr zuweilen, als hätte sie alles nur geträumt. Ab und zu fragte sie sich, was es eigentlich für ein Wein sein mochte, der diese seltsamen, dunklen Träume in ihr hervorrief. Der Wein, den sie zu Hause trank, hatte ihr nie solche eigentümlichen Visionen beschert. Aber die Lust mit ihm brachte solcherart Gedanken und Zweifel zum Schweigen und vertrieb auch den Hauch von Furcht, der sie manchmal überkam, wenn sie in seine grünen Augen blickte und darin einen Glanz gewahrte, der wie ein fernes Wetterleuchten aus den Tiefen seiner Seele zu kommen schien. Ein unheimliches, animalisches Glitzern, das sie an Raubtieraugen gemahnte. Er ist böse und gefährlich! Der Mann ist nicht mehr ganz bei Trost! hallte in diesen Augenblicken Florians Warnung in ihren Ohren. Doch einmal mehr tat sie diese Worte ab als eifersüchtige Verunglimpfung eines überspannten Künstlers.
»Ich bin unsagbar glücklich«, flüsterte sie ihm, ermattet vom Liebesspiel, zärtlich ins Ohr. »Wenn ich bei dir bin, fühle ich, wie schön das Leben sein kann, und alles ist wie verzaubert. Wie lange habe ich mich danach gesehnt!«
»Ich kenne eben deine wahre Sehnsucht«, erwiderte er mit sanfter Stimme und streichelte ihr liebevoll über die bleiche Wange. »Und ich werde sie erfüllen, meine schöne Totenmagd.« Dann füllte er aus einer Kristallkaraffe einen hohen Trinkpokal mit jenem samtigen roten Wein und reichte ihn ihr an. Dankbar nahm sie ihn mit bebenden Händen entgegen und trank den dunklen Rebensaft mit gierigen Schlucken. Sogleich durchdrang sie eine angenehme Mattigkeit, der sie sich seufzend ergab.
»Was ist das nur immer für ein berauschender Wein, den du mir zu trinken gibst? Er stellt ganz Eigenartiges mit mir an«, murmelte sie schlaftrunken.
»Es ist der Saft der Totenblume«, flüsterte er kichernd und hatte wieder dieses eigentümliche Flackern in den Augen. Unwillkürlich überkam sie eine Gänsehaut, die auch dann noch anhielt, als er sie wenig später erneut mit seinen zärtlichen Händen zu betören suchte.
In dieser Nacht träumte sie von einem unheimlichen Gefährten, der sie an der Hand an Bergen von Pestleichen vorbeiführte. Aus dem vielstimmigen Wehklagen der Pestkranken, das ihr überall entgegenschlug, drang das verzweifelte Schluchzen eines Mannes.
*
Ruprecht Bacher war zwar ein eher vierschrötiger, wenig feinsinniger Mensch, doch die unheilvolle Wandlung seiner Frau war ihm nicht verborgen geblieben.
Es war Donnerstagnachmittag, und ein muffiger Geruch hing in der Turmstube. Katharina lag im Bett und schlief offenbar noch. Ruprecht räumte missmutig das benutzte Essgeschirr zusammen, das sich seit Tagen auf Tisch und Kochherd türmte, bereitete sich im Kessel heißes Wasser und reinigte nach und nach die verkrusteten Töpfe und Teller. Dann sammelte er die unordentlich über den ganzen Wohnraum verteilten schmutzigen Kleidungsstücke ein und stopfte sie in den Wäschekorb.
Katharina, die er seit der grausamen Hinrichtung ihres Vaters für krank und hinfällig erachtete, mochte er damit nicht belasten. Zudem lag es ihm fern, ihr deshalb Vorwürfe zu machen.
Als er mit den nötigsten Hausarbeiten fertig war, schnitt er sich auf dem Holzbrett ein paar Scheiben Brot und Käse ab, setzte sich an den Tisch und fing mit mürrischem Gesichtsausdruck zu essen an. Immer noch kauend, besann er sich nach einer Weile und rief, um einen munteren Tonfall bemüht: »Aufstehen, du Schlafhaube. Jetzt wird was gegessen!«
Doch Katharina gab keinen Muckser von sich.
Das Einzige, weswegen er gelegentlich mit ihr haderte, war ihre fortwährende Appetitlosigkeit, die ihm große Sorgen bereitete. Einsam und bekümmert wie er war, trank er noch mehr als früher, doch es gelang ihm nicht, seine Niedergeschlagenheit im Branntwein zu ersäufen. Bitter entbehrte er seinen alten Freund Heini, der ihm auf seine wortkarge Art doch stets ein Beistand gewesen war.
Während er noch ratlos am Tisch saß und überlegte, was er nun tun sollte, spürte er mit einem Mal eine ungeheure Wut in
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