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Das Geheimnis der Totenmagd

Das Geheimnis der Totenmagd

Titel: Das Geheimnis der Totenmagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Neeb
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gestalten, indem er ihr ein anmutiges Lächeln um die blassen Lippen gezaubert und den glanzlosen, dunkel umflorten Augen ein intensives Blau verliehen hatte, so haftete dem Gemälde dennoch eine eigentümliche Morbidität an. So, als ob jemand versucht hätte, einer Todkranken durch Puder und Schminke den Liebreiz der Jugend zurückzugeben.
    »Ist das die Frau? Schaut sie Euch bitte genau an«, wandte sich Anna eindringlich an den Färber, der unschlüssig auf das Bildnis starrte.
    »Anna, was geht hier eigentlich vor sich? Und wer, bitte, ist dieser Mann?« Frau Stockarn hatte sich in gestrenger Pose vor Anna aufgebaut, ohne den ärmlich gekleideten Besucher eines weiteren Blickes zu würdigen. Ihre angeekelte Miene sagte genug.
    »Später, Mutter, das erkläre ich dir gleich«, erwiderte Anna und wartete gespannt auf Andreas Borndörfer, der unbeweglich vor dem Porträt stand.
    »Doch, ich glaube, das ist sie. Das bleiche, eingefallene Gesicht … und auch sonst. Ja, ich glaube, das war die Frau«, erklärte der Mann mit gesenkter Stimme. »Ist sie das? – Ich meine, ist das Eure … Eure verstorbene Schwester?« Er warf einen Seitenblick auf die empörte Miene der Hausfrau und strich sich mit fahriger Geste die feuchten Haare aus der Stirn.
    »Ja, das ist … das war meine Schwester Mechthild«, antwortete Anna tonlos, ging mit unsicheren Schritten auf einen der gepolsterten Stühle zu, die an der Wand standen, und ließ sich darauf niedersinken. »Gut, dass Ihr gekommen seid«, sagte sie mit schwacher Stimme zu dem Lohgerber, der verloren in der Halle stand.
    »Anna, was hat das alles zu bedeuten? Ich will auf der Stelle von dir wissen, was hier los ist!«, herrschte Hedwig Stockarn ihre Tochter an. Anna überlegte kurz, ehe sie zu einer Erläuterung ansetzte.
    Dann wies sie mit der Hand auf den Besucher. »Das ist Herr Andreas Borndörfer aus Höchst«, um dem Gast anschließend ihre Mutter vorzustellen. Frau Hedwig verzichtete mit eisiger Miene auf einen höflichen Handschlag, sie konnte sich lediglich zu einem angedeuteten Kopfnicken überwinden, während sich der Lohgerber tief vor der Patrizierin verbeugte.
    »Wie es sich erwiesen hat, kannte Mechthild Herrn Borndörfers Bruder Tobias und hat sich gelegentlich mit ihm getroffen«, begann Anna dann. »Und der Bruder von Herrn Borndörfer ist … Aber vielleicht sollten wir wieder in die Stube gehen, hier draußen in der Halle ist es so zugig.« Anna hatte bemerkt, dass Andreas Borndörfer vor Kälte schlotterte, und blickte auffordernd in das abweisende Gesicht ihrer Mutter.
    »Von mir aus gerne«, erwiderte diese. »Aber Herr Borndörfer«, sie warf dem Lohgerber einen vernichtenden Blick zu, »wird sich jetzt gefälligst verabschieden.« Auf Annas entrüsteten Protest hin fügte sie gönnerhaft hinzu: »Er möge sich in Gottes Namen in der Küche eine heiße Suppe reichen lassen und uns dann nicht mehr weiter behelligen.«
    »Mutter, ich bitte dich!«, rief Anna empört. »Herr Borndörfer hat eigens den weiten Weg von Höchst auf sich genommen, um …«
    »Um bei uns die Hand aufzuhalten«, unterbrach die Mutter sie ungnädig.
    »Nein, nein, so ist das nicht«, begehrte der Lohgerber auf, doch die Hausherrin fuhr ihn an: »Genug! Verlasse Er auf der Stelle mein Haus. Derlei Bittstellern stehen wir momentan nicht zur Verfügung. Wir sind schließlich ein Trauerhaus!«
    »Gut, dann werde ich Herrn Borndörfer jetzt in die Küche begleiten. Im Gegensatz zu dir weiß ich nämlich, was sich geziemt.« Anna hatte sich erhoben und funkelte ihre Mutter wütend an. Dann berührte sie den bestürzten Mann sachte am Arm und forderte ihn auf, ihr zu folgen.
    »Untersteh dich, Anna!«, zischte Frau Stockarn aufgebracht.
    Da richtete sich Borndörfer plötzlich auf und sagte mit einer Verachtung, die der hochwohlgeborenen Dame in nichts nachstand: »Keine Sorge, von jemandem wie Euch würde ich sowieso kein Stück Brot annehmen. Gott vergelt’s!« Eilig strebte er der Tür zu.
    »Was erlaubt Er sich!«, war alles, was die außer sich geratene Hausfrau noch herausbrachte, ehe sie unversehens allein in der Halle zurückblieb. Denn Anna hatte sich hastig ihren Umhang vom Kleiderhaken gegriffen und war dem Entschwindenden nach draußen gefolgt.
    »Anna, du bleibst gefälligst hier!«, schrie Hedwig Stockarn mit sich überschlagender Stimme. »Ich befehle es dir!«
    Doch Anna war bereits durchs Hoftor auf die Straße hinausgeeilt, wo der Lohgerber auf sie gewartet

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