Das Geheimnis der Totenstadt - Thriller
wusste, war Maria Furini. Aber die schied aus. Wenn sie das Manuskript hätte haben wollen, hätte sie es sich längst holen können. Lange bevor sie ihn überhaupt kennen gelernt hatte. Sonst gab es niemanden, der etwas wissen konnte.
Plötzlich schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf, der ihm ein unangenehmes Gefühl bereitete.
Als er den Professor gefunden hatte – war da etwa noch der Mörder im Haus und hatte ihn beobachtet? Er konnte ja gar nicht wissen, wie viel Zeit zwischen der Tat und seinem Eintreffen verstrichen war. Vielleicht nur zwei, drei Minuten?
Später lag er noch lange wach im Bett und ließ die Ereignisse der letzten Tage wie einen Film in sich ablaufen. Immer wieder.
Es musste so sein. Er war beobachtet worden. Von einem, der auch vor Mord nicht zurückschreckte. Nicht gerade ein Gedanke, der für ruhigen Schlaf sorgte.
Andererseits, was hatte er eigentlich noch mit der Geschichte zu tun? Den zweiten und dritten Teil des Manuskriptes zu finden, ohne den ersten zu haben, war unmöglich. Und den ersten hatte er noch nicht einmal zu Ende gelesen. Nein, morgen würde er Maria Furini anrufen und ihr sagen ... Über diesen Gedanken schlief er ein.
4. KAPITEL
D ie Anwaltskanzlei von Pancrazzi lag im Herzen von Florenz unweit des Doms in der Via della Studio, gleich neben dem Feinkostladen Drogheria Pegna, stadtbekannt durch die große Auswahl an Gourmet-Spezialitäten. Der Mann mit der großen Brille interessierte sich nicht für die angenehmen Düfte aus Honig, Olivenöl und geräuchertem Schinken, die aus der offenen Ladentür strömten. Mit angestrengtem Gesichtsausdruck verglich er die Adresse mit der in seinem Notizbuch und drückte dann auf den Klingelknopf aus Messing.
Eine weibliche Stimme meldete sich durch die Gegensprechanlage.
»Ja, bitte?«
Der Mann räusperte sich.
»Professore Tardi. Ich bin mit Avvocato Pancrazzi verabredet.«
Das Summen des Türöffners war die Antwort.
»Sie können gleich hineingehen«, sagte die rundliche Sekretärin mit den kurzen rötlichen Haaren und blickte Tardi abschätzend an. »Der Avvocato erwartet Sie.«
Pancrazzi saß mit hochgezogenen Schultern hinter dem großen Schreibtisch aus dunkler Eiche. Außer der Schreibunterlage aus feinstem Leder, in das ein großes »P« eingeprägt war, und der Schale aus Marmor für Schreibgeräte aller Art war der Tisch leer. Hinter ihm stand ein großes Bücherregal mit Gesetzesbüchern und anderen juristischen Veröffentlichungen.
Pancrazzi selbst vermittelte den Eindruck eines großen alten Raubvogels, der auf seinem Nest hockte. Er mochte etwas älter als siebzig Jahre sein, hatte schütteres, weißes Haar und eine Haut, zerknittert wie ein Geldschein, durchzogen von tiefen Falten um die Mundwinkel und zwischen den Augenbrauen. Er trug einen schwarzen Anzug sowie ein weißes Hemd mit einer dunkelblauen Krawatte. Irritierend waren seine hellblauen Augen, die im Gegensatz zu seinem Körper erstaunlich jung wirkten und alles zu durchbohren schienen. Bis heute brauchte er keine Brille, nicht einmal beim Lesen.
Er deutete auf den Besuchersessel.
»Professore, was kann ich für Sie tun?«
Tardi nahm Platz und räusperte sich.
»Es geht um meinen alten Freund, Professore Paolo Mazzetti. Wissen Sie, wir waren zusammen an der Universität ...«
Pancrazzi unterbrach ihn.
»Paolo hatte Freunde an der Universität? Das wäre mir neu.«
Tardi schaute ihn irritiert an.
»Ich weiß, Avvocato, das Verhältnis zwischen Paolo und der Universität war nicht gerade das beste. Aber wir haben immer Kontakt gehalten. Bis zuletzt. Ich meine, bis zu diesem schrecklichen Unfall!«
Die stechenden Augen des Anwalts trafen die Pupillen Tardis.
»Das war kein Unfall. Das war Mord. Heimtückischer Mord!«
Tardi schaute auf den Boden.
»Ich weiß. Seine Schwester hat es mir gesagt. Es ist alles so schrecklich.«
Pancrazzi schlug mit der flachen Hand leicht auf die Schreibunterlage.
»Nun, kommen wir zur Sache. Was wollen Sie?«
Tardi sah ihn wieder an.
»Seine Schwester sagte mir auch, dass Sie sein Lebenswerk, seine Forschungsarbeiten, unter Verschluss genommen haben. Ich weiß, dass Paolo in den letzten Jahren wie ein Rastloser gearbeitet hat, und ich habe Angst, dass wir die Ergebnisse seiner Forschungen nie erfahren werden, wenn sie hier bei Ihnen bleiben. Deswegen, Avvocato, bitte ich Sie, mir seine Manuskripte anzuvertrauen, damit ich sie auswerten kann. Es wäre eine Tragödie, wenn die Früchte seiner Arbeit in
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