Das Geheimnis der Wellen
richtig nach Arbeit an. Als ich noch Jurist war, hatte ich immer das Gefühl, etwas Wichtiges, Seriöses zu tun, statt nur Tagträume zu Papier zu bringen.«
»Mehr ist es nicht? Nur Tagträume?«
»Nein. Aber Lindsay hat es stets so genannt.« Das hatte er fast schon vergessen. »Es war nicht böse gemeint, aber … Eine Handvoll Kurzgeschichten ist so beeindruckend nicht.«
»Sie mochte es eben lieber beeindruckend, und das ist nicht böse gemeint. Sie war einfach so. Aber was Kompromisse anbelangt: Lindsay hat nur selten welche gemacht. Zumindest nicht, dass ich wüsste. Wer sagt, dass man über Tote nicht schlecht reden darf, hat einfach nicht das Rückgrat, die Wahrheit zu sagen.«
»Du hast ziemlich viel Rückgrat.«
Er hatte nicht damit gerechnet, dass sie über Lindsay reden würden. Nicht an diesem Ort, nicht mit seiner Großmutter. Aber vielleicht war es genau der richtige Ort, um seinen Frieden mit ihr zu machen.
»Es lag nicht nur an ihr.«
»Das tut es selten.«
»Ich dachte, jeder bleibt unabhängig, gleichzeitig bündeln wir unsere Stärken, unsere Schwächen, unsere Ziele. Aber ich habe eine Prinzessin geheiratet. So hat sie ihr Vater immer genannt: Prinzessin.«
»Ah ja, ich erinnere mich.«
»Sie hat stets bekommen, was sie wollte. So wurde sie erzogen. Sie hatte einen natürlichen Charme, war unglaublich schön und fest davon überzeugt, dass ihr Leben einfach perfekt und genauso sein müsse, wie sie es sich vorstellte.«
»Doch das Leben ist kein Wunschkonzert, nicht einmal für eine Prinzessin.«
»Ich fürchte nicht«, pflichtete er ihr bei. »Wie sich herausstellte, war das Leben mit mir alles andere als perfekt.«
»Sie war jung und verwöhnt. Hätte man ihr Gelegenheit dazu gegeben, hätte sie sich vielleicht weiterentwickelt und wäre weniger egozentrisch geworden. Sie hatte Charme und einen ausgezeichneten Blick für Kunst, Innenarchitektur und Mode. Mit der Zeit hätte sie vielleicht etwas daraus und aus sich gemacht. Die traurige Wahrheit ist, dass ihr nicht zusammengepasst habt. Sie war dir keine Partnerin und nicht die Liebe deines Lebens. Und du warst es umgekehrt auch nicht.«
»Nein«, gestand er. »So war das wohl.«
»Freundlich formuliert, habt ihr beide einen Fehler gemacht. Sie hat einen viel zu hohen Preis dafür bezahlt, und das tut mir leid. Sie war eine junge schöne Frau, und ihr Tod erscheint mir sinnlos und grausam. Aber daran lässt sich nichts mehr ändern.«
Nein, dachte Eli. Nicht, bis derjenige, der dafür verantwortlich ist, zur Rechenschaft gezogen wird.
»Ich muss dich etwas fragen«, fuhr Hester fort. »Bist du glücklich hier?«
»Ich wäre verrückt, wenn ich es nicht wäre.«
»Und kannst du gut arbeiten?«
»Besser als erwartet oder erhofft. Im letzten Jahr habe ich vor allem geschrieben, um der Wirklichkeit zu entfliehen, um mich abzulenken. Heute ist es mein Beruf. Ich möchte gut dar in sein. Und mein Aufenthalt in Bluff House hilft mir dabei.«
»Ganz einfach, weil du hierhergehörst, Eli. Du gehörst nach Whiskey Beach. Im Gegensatz zu Tricia. Ihre Familie und ihr Zuhause ist in Boston.«
Sie sah durch die Terrassentür ins Wohnzimmer, wo Selina neben einer begeisterten Barbie herumkrabbelte.
»Sie ist mir stets willkommen, für ein Wochenende, für einen Sommer- oder Winterurlaub. Aber es ist nicht ihr Zuhause, das ist es nie gewesen.«
»Es ist dein Zuhause, Gran.«
»Allerdings.«
Sie hob das Kinn, und ihr Blick wurde ganz weich, als sie über die sich im Wind biegenden Stiefmütterchen hinweg auf die Meeresbrandung schaute.
»Ich habe mich an diesem Strand in deinen Großvater verliebt, in einer lauen Frühlingsnacht. Ich wusste, dass er zu mir gehört und wir in diesem Haus eine Familie gründen, unser Leben leben würden. Es ist mein Zuhause, und ich kann frei darüber verfügen.«
Sie wandte sich Eli zu, und ihr Blick wurde stählern. »Deshalb werde ich es dir vermachen. Außer, du überzeugst mich davon, dass du es nicht willst. Dass du hier kein neues, glückliches Leben beginnen kannst.«
Verblüfft starrte er sie an. »Gran, du kannst mir Bluff House nicht vermachen.«
»Ich tue, was ich will, mein Junge.« Sie klopfte auf seinen Arm. »Das war schon immer so, und ich habe nicht vor, das zu ändern.«
»Gran!«
Sie klopfte erneut auf seinen Arm, diesmal war es warnend gedacht. »Bluff House ist ein Zuhause. Und ein Zuhause muss bewohnt werden. Es ist dein Erbe, deine Verantwortung. Ich möchte wissen, ob du
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