Das Geheimnis der Wellen
versuche es zumindest.« Sie küsste ihn auf beide Wan gen. »Eine Krawatte«, wiederholte sie und zog ihn wieder ins Haus.
Widerwillig ging er nach oben und nahm den Krawattenbügel aus dem Schrank.
Er mochte seine Krawatten. Er hing nicht direkt an ihnen, aber er mochte die große Auswahl.
Doch das erklärte nicht, warum er sie überhaupt mit ans Meer genommen hatte. Zumal er das letzte halbe Jahr so gut wie nie eine Krawatte getragen hatte.
Na gut, vielleicht hing er doch ein wenig an ihnen. Er hatte Prozesse mit diesen Krawatten gewonnen und verloren. Als er noch Anwalt gewesen war, hatte er sich jeden Morgen eine ausgesucht. Und sie spätabends, wenn er Überstunden machte, gelockert. Er hatte sie unzählige Male geknotet und entknotet.
Das war in einem anderen Leben gewesen.
Er griff nach einer blauen mit grauen Streifen und überlegte es sich wieder anders. Er griff zu einer rotbraunen mit einem dezenten Paisleymuster. Und entschied sich erneut um.
»Ach, was soll’s.«
Er schloss die Augen griff wahllos hinein.
Natürlich musste es ausgerechnet eine Luxusseidenkrawatte von Hermès sein!
»Fertig.«
Es tat richtig weh, sie von den anderen zu trennen. Um seine Laune zu heben, schaute er kurz in seinem Arbeitszimmer vorbei.
Sie würde ihm bestimmt sagen, dass sein Buch gut war. Er überlegte, welche Szene er ihr zum Lesen geben sollte. Sie würde lügen.
Er wollte nicht, dass sie log. Er wollte, dass sein Buch wirklich gut war.
Seltsamerweise wusste er sofort, welche Szene er ihr zu lesen geben würde – eine, bei der er Feedback brauchen konnte.
Er ging sein Manuskript durch, fand die Seiten. Bevor er seine Meinung ändern konnte, druckte er sie aus.
»Jetzt stell dich nicht so an«, ermahnte er sich und nahm die Blätter mit der Krawatte nach unten.
Abra saß an der Küchentheke, streichelte mit dem nackten Fuß über den auf dem Boden liegenden Hund. Und trug dabei eine Brille mit einer knallorangen Fassung.
»Du trägst eine Brille.«
Sie setzte sie ab, als wäre sie ein schmutziges kleines Geheimnis. »Manchmal, zum Lesen. Vor allem, wenn der Text klein gedruckt ist. Und hier gibt es jede Menge Kleingedrucktes.«
»Setz sie wieder auf.«
»Ich bin eitel. Dagegen bin ich machtlos.«
Er legte die Manuskriptseiten weg, nahm die Brille und setzte sie ihr wieder auf. »Du siehst süß aus.«
»Ich dachte, eine lustige Bemerkung sollte eigentlich genügen. Aber ich bin immer noch eitel und hasse es auch nach wie vor, sie zu tragen. Außer manchmal beim Lesen. Oder wenn ich Schmuck mache.«
»Was es nicht alles gibt. Süß!«
Sie verdrehte die Augen und nahm die Brille erneut ab, als sie die Krawatte entdeckte.
»Hübsch«, sagte sie. Als sie das Etikett sah, runzelte sie die Stirn. »Seide. Sehr hübsch! Die Frauen vom Secondhandladen werden entzückt sein.«
»Secondhandladen?«
»Wegwerfen kann man die ja schlecht. Irgendjemand kann sie bestimmt gebrauchen.«
Eli sah zu, wie sie aufsprang, um sie in ihrer Tasche zu verstauen. »Darf ich sie zurückkaufen?«
Lachend schüttelte sie den Kopf. »Du wirst sie nicht vermissen. Ist das für mich?« Sie zeigte auf die Ausdrucke.
»Ja. Eine Szene, es sind nur ein paar Seiten. Ich dachte, ich bringe es gleich hinter mich.«
»Es wird nicht wehtun.«
»Das tut es jetzt schon. Ich will nicht, dass du mich anlügst.«
»Warum sollte ich?«
Er entzog den Ausdruck ihrer Reichweite, als sie danach griff.
»Du bist von Natur aus fürsorglich. Außerdem sind wir ein Paar. Es widerstrebt dir einfach, andere zu verletzen. Mich würdest du niemals verletzen. Also würdest du lügen. Aber ich muss wissen, ob die Szene wirklich funktioniert.«
»Ich werde dich nicht anlügen.« Sie wackelte ungeduldig mit den Fingern. »Lenk dich ab und räum die Spülmaschine ein.«
Sie legte die Füße auf den zweiten Hocker, und da sie nun mal dalag, setzte sie auch ihre Brille auf. Nachdem sie ihn über den Brillenrand hinweg angeschaut und ihm mit einer Geste zu verstehen gegeben hatte, dass er verschwin den solle, griff sie nach ihrem halb vollen Glas Wein. Und begann zu lesen.
Sie las den Text zweimal und schwieg, während er mit den Tellern klapperte und Wasser in der Spüle rauschte.
Dann legte sie die Seiten weg und nahm ihre Brille ab, damit er ihre Augen besser sehen konnte.
Sie lächelte.
»Ein bisschen hätte ich zur Not gelogen. Aber es wäre eine liebevolle Lüge gewesen, eine, die wirkt wie ein sanftes Lande kissen.«
»Eine liebevolle
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