Das Geheimnis der Wunderkinder
bereits alles weißt, was sie dich dort lehren können, sonst wird man unbequeme Fragen stellen. Und dann würde man dich in eine Anstalt sperren, aus der du nicht so leicht davonlaufen kannst, wie von unserem Heim, Jimmy. Hast du das verstanden?«
»Ja, Sir«, antwortete der Junge bedrückt.
»Vielleicht erscheint dir die Schule allerdings sehr langweilig«, sagte Brennan sanft. »Wenn es so ist, brauchst du nur die Maschine deines Vaters wieder zu bauen.«
»Ich w …«, begann Jimmy automatisch, aber sein Onkel schnitt ihm das Wort ab.
»Du wirst es nicht tun, nein«, stimmte er zu. »Jetzt noch nicht. Und bis dahin wirst du das Leben führen, das deinem Alter entspricht.«
6.
Paul Brennan zog mit Jimmy in das Holden-Haus. Onkel Paul verschloß den großen Wohnraum im ersten Stock, den Jimmys Eltern in ein Laboratorium verwandelt hatten, sonst konnte Jimmy sich frei im ganzen Haus bewegen.
Als nächstes stellte Brennan ein älteres Ehepaar ein, das sich um das Haus und den Jungen kümmern sollte. Mr. und Mrs. Mitchell hatten zu ihrem Kummer keine Kinder und überhäuften nun Jimmy mit der ganzen Liebe und Fürsorge kinderlieber Leute.
Jimmy war so niedergeschlagen, daß er glaubte, wahnsinnig zu werden. Es fehlte ihm an nichts. Er wurde saubergehalten, sein Heim in Ordnung gehalten, und er bekam gutes Essen – sogar das, was er gern aß. Aber Jimmy begann bald, Änderungen zu bemerken.
Seine Bücher verschwanden plötzlich, und an ihrer Stelle fand er Kinderbücher vor. Sein großer Stabilbaukasten war »zerbrochen« – Mrs. Mitchell erzählte ihm, daß Onkel Paul ihn aus Versehen zertreten hatte. »Aber dies hier wird dir besser gefallen«, strahlte sie und gab ihm einen neuen Kasten aus dem Spielzeugladen. Er enthielt bunte Kinder-Bausteinchen.
Jimmy hatte von seinen Eltern Leinwand und Ölfarben bekommen, nun waren sie auch verschwunden. Jimmy hielt sich nicht für einen Künstler, aber es machte ihm keinen Spaß, mit den Buntstiften zu malen, die sein Onkel für ihn ausgesucht hatte. Sein Zeichenpapier hatte man ihm gelassen, aber als es ausging, wurde es nicht ersetzt, und statt dessen bekam Jimmy eine Wandtafel und bunte Kreide.
Als Weihnachten kam, waren Jimmys sämtliche Besitztümer verschwunden – und durch neue Spielsachen ersetzt, die Jimmys physischem Alter entsprachen. Unter dem Weihnachtsbaum lag ein Haufen bunter Pakete. Jimmy hatte kaum den Mut, sie zu öffnen, denn er wußte, was sie enthalten würden. Er hatte recht.
Jimmy hatte alles, was sich ein normaler Fünfjähriger wünschen konnte – aber darüber hinaus nichts. Er beschwerte sich, aber das brachte ihm gar nichts ein. Mrs. Mitchell war vorwurfsvoll: »Jimmy, du bist undankbar!« Und Mr. Mitchell wurde ärgerlich. Ob Jimmy vielleicht Pfeife rauchen und das Wahlrecht wollte, fragte er.
Paul Brennan machte seinen Standpunkt sehr deutlich. Sicher, es gab einen Ausweg, und dann könnte Jimmy haben, was er sich wünschte. Nur mußte er eben erst die Maschine wieder aufbauen.
Als die Zeit kam, daß Jimmy eingeschult werden sollte, war er froh; nichts, aber auch nichts konnte schlimmer sein als seine augenblickliche Lage.
Zunächst war die Schule etwas Neues. Jimmy saß in einer Bank, zusammen mit siebenundvierzig anderen Kindern in einer Klasse und tat sein Bestes, ihr Benehmen, stockendes Sprechen und fehlerhafte Grammatik nachzuahmen. Die ersten zwei Wochen blieb er unbemerkt.
Die Lehrerin, die sich mit achtundvierzig Kindern vertraut machen mußte, gab ihm nicht mehr als 2,08 Prozent ihrer Gesamtzeit und Aufmerksamkeit – das, was auf ihn entfiel. Jimmy Holden war kein Problem, seine Antworten auf die wenigen Fragen, die sie an ihn richtete, waren korrekt, und daher brauchte er noch weniger Aufmerksamkeit als die übrigen. Die Lehrerin mußte sich um die kümmern, die im Unterricht zurückblieben.
Da Jimmys einzige Bekanntschaft mit Kindern seines Alters sich auf die Hinterhof-Gören, die um Jake Caslows Hof herumlungerten, beschränkte, fand er seine neuen Kameraden recht interessant. Er beobachtete sie, hörte ihnen zu und stellte nach zwei Wochen fest, daß sie hoffnungslos unwissend waren.
Wären in der ersten Klasse bereits geschriebene Arbeiten üblich gewesen, würde man Jimmy sofort entdeckt haben, aber so fielen seine wenigen richtigen Antworten nicht auf, und sein Mangel an Aufmerksamkeit und seine Langeweile erschienen durchaus normal.
Schließlich strauchelte Jimmy jedoch über seinen Mangel an
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