Das Geheimnis Des Amuletts
musste lachen.
Miss Dalrymple schlug mir voller Zorn kräftig ins Gesicht, und dann sagte sie kalt: »Es ist so weit, Helen Black. Bereite dich auf deinen Untergang vor.« Damit rauschte sie aus dem Zimmer und verriegelte die Tür hinter sich.
Ich lief zum Fenster und starrte nach unten. Auf dem Schulgelände wirkte alles ruhig. Als ich jedoch durch das Symbol aus gefärbtem Glas mit dem starrenden Auge blickte, bemerkte ich etwas. Das, was eigentlich weit weg war, tauchte in scharfen, brillanten Details auf. Als ich in die Richtung der Dorfkirche blickte, konnte ich die steinernen Mauern und den Glockenturm und den umliegenden Friedhof tatsächlich genauso klar sehen wie meinen Handrücken. Ich sah Agnes’ einfaches Grab und die Engelsstatue, die es bewachte. Etliche Leute hatten sich darum versammelt, Frauen in langen schwarzen Gewändern, die sich Kapuzen tief ins Gesicht gezogen hatten. Sie waren von den alptraumhaften Skeletten der Toten des Hexenzirkels umgeben, die wieder aus ihren Gräbern gerufen worden waren, und ihre verrottenden Leichenhemden verströmten den Gestank des Bösen. Die Frauen sprangen auf Agnes’ Grab und fingen an, an der Engelsstatue zu zerren, sie wieder und wieder anzustoßen, bis sie umkippte und zu Boden stürzte. Der Kopf und die Flügel brachen ab, als sie zerbarst. Noch ein weiterer wunderschöner Gegenstand, den der Hexenzirkel zerstörte.
Ich riss mich von dem Anblick los und kauerte mich unter dem Fenster zusammen, während ich wartete. Meine Zeit war gekommen. Ich musste bereit sein. Es gab nur noch eines, das ich zu tun hatte. Ich kramte in meiner Tasche und fand mein Tagebuch, in das ich meine letzten Worte schrieb.
Evie und Sarah, meine geliebten Schwestern. Ich hoffe, ihr werdet das hier eines Tages lesen und verstehen. Ich hoffe, ich erhalte die Gelegenheit, es euch zu geben.
Aber wenn nicht, wenn diese Schrift weggeworfen wird und in Vergessenheit gerät, kommt vielleicht eines Tages ein fremder Mensch und findet es. Und das ist es, was ich zu sagen habe. Ich war die verrückte Helen Black, aber ich habe schließlich die Wahrheit erkannt, und ich habe geglaubt. Also, wer immer das hier findet, wer immer es liest … wer immer du bist … du sollst wissen, dass ich mein Bestes getan habe. Urteile nicht zu hart über mich.
Wunderschöner Fremder, bete für mich.
Einunddreißig
Zeugnis von Evelyn Johnson
Alles, was ich jetzt noch tun konnte, war beten. Da war ein Teil in meinem Geist, der immer noch ich war – der wie ich fühlte und dachte –, auch wenn der Rest von der Priesterin kontrolliert wurde. Und was ich spürte, war Schmerz. Jeder Gedanke war Schmerz. Ich glaubte, dass Josh tot war, oder Schlimmeres. Sarah war an meiner Seite, aber ich konnte mit ihr noch nicht einmal reden, außer mit Worten, die Celia Hartle mir in den Mund legte. Helen, Cal und Agnes schienen weit weg zu sein. Die Priesterin fühlte sich allerdings schrecklich nah an, als hätte sie mein Sein durchdrungen, selbst in meinem Schlaf. Schon bald würde sie ihr grausames Versprechen vollenden und sich an unseren Seelen nähren, uns in die ewige Bindung zerren.
Nur Helen konnte das noch aufhalten.
Es ist schwer, sich an alles, was in dieser Nacht geschah, klar zu erinnern. Ich schlafwandelte einem furchtbaren Ende entgegen, als würde ich mit weit geöffneten Augen über eine Klippe hinausgehen. Aber ich erinnere mich, dass wir von der Glocke gerufen wurden, die lauter und lauter in meinem Kopf erklang, und alle Mädchen in der Schule bewegten sich gemeinsam, marschierten durch die dunklen Korridore, um sich im Ballsaal zu versammeln. Wir hätten in diesem Moment alles getan, was man uns gesagt hätte; wir hätten die ganze Nacht getanzt, bis wir vor Erschöpfung zusammengebrochen wären; wir wären auf die Zinnen von Wyldcliffe geklettert und hätten uns nach unten auf die Pflastersteine gestürzt; wir wären in den eiskalten See gesprungen und in seinen dunklen Tiefen versunken, wenn sie es befohlen hätte. Und wenn sie unsere Jugend wollte, unsere Lebenskraft, unsere Seelen – sie hätte es nur aussprechen müssen, und es wäre geschehen.
Ja, ich erinnere mich daran, wie wir im Ballsaal standen, ein Teil der stummen Menge von Wyldcliffe-Schülerinnen, die lammfromm darauf warteten, dass die Priesterin und ihre Kameraden eintrafen. Sarah war neben mir, aber sie starrte vor sich hin, unfähig, sich zu widersetzen. Und waren das da ein Stück vor mir Velvets gerader Rücken und ihre
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