Das Geheimnis des Falken
sein.«
Dabei stolperte er über die herumliegenden Bücher und stieß laute Verwünschungen aus, während Signorina Gatti schreckensbleich ans Telefon eilte. Wenn von Panik die Rede sein konnte, so hatte Fossi sie selber produziert.
»Haben Sie gehört, was man Professor Elia angetan hat?« flüsterte er mir zu.
Ich sagte: »Nein.«
»Sie haben ihn entmannt«, zischte er. »Ich habe es aus erster Hand. Einer der Dinnergäste von gestern abend hat es getan. Es heißt, der Arzt war die ganze Nacht bei ihm, um ihm wenigstens das Leben zu retten. Möglicherweise gibt es noch weitere Opfer zu beklagen …«
»Signor Fossi, ich bin ganz sicher, daß nichts dergleichen …« begann ich.
Er gab mir stirnrunzelnd zu verstehen, daß ich den Mund halten möchte, und deutete mit einer Kopfbewegung zum Pult der Sekretärin hinüber. »Sie machen vor nichts und gar nichts halt«, fuhr er im Flüsterton fort, »und es kann jeden treffen, der in verantwortlicher Stellung ist.«
Damit beförderte er weitere Bücher in die Kiste. Wen er mit ›sie‹ meinte, sagte er nicht. Ich nahm an, die Studenten, alle Studenten.
»Sie können sich nicht vorstellen, was gestern abend im ›Panoramica‹ los war, nachdem sich die Nachricht verbreitet hatte«, fuhr er fort, indem er an seiner zischenden ›Beiseite‹-Rede festhielt, die zweifellos bis ans Ohr seiner zitternden Sekretärin drang.
»Einige der Damen bekamen Schreikrämpfe und verloren die Besinnung, und das Dinner fiel natürlich aus. All das schöne Essen verschwendet und verdorben! Ich brachte meine Frau nach Hause und wagte dann nicht, sie allein zu lassen. Sie war außer sich, völlig erschöpft. Ich selbst habe die halbe Nacht am Telefon gehangen, um Einzelheiten zu erfragen, aber jeder erzählte etwas anderes. Gegen halb eins hatten wir den Eindruck, daß man versuchte, in die Wohnung einzubrechen, so daß ich die Tür verbarrikadierte, und heute früh ist meine Frau abgereist. Sie wird eine Zeitlang bei Bekannten bleiben. Der Himmel weiß, wo ich diese Nacht schlafen werde.«
Ich brummte etwas von Polizeibewachung.
»Polizei?« Fossi schrie beinahe. »Hat gar keinen Zweck. Die kümmert sich doch nur um die großen Herren. Das Rückgrat der Universität, die Leute, die die ganze Arbeit leisten, werden sich selber helfen müssen.«
Jeder Versuch, ihn zu beruhigen, war sinnlos. Grün im Gesicht nach der schlaflosen Nacht, hockte er auf einer leeren Kiste und sah zu, wie ich eine andere voll packte. Ich fragte mich, wer von uns beiden wohl der größere Feigling war und die größere Angst hatte. Fossi, der aufgrund ganz alberner Gerüchte zitterte, oder ich, mit meiner Furcht, in San Cipriano erkannt worden zu sein.
Die Mittagspause fiel aus. Toni holte Kaffee und Sandwiches aus der Mensa und brachte überdies beruhigende Nachrichten mit. Die WW-Studenten hatten den Streik abgeblasen und saßen brav in ihren Hörsälen. Professor Elia hatte eine Abordnung bei sich zu Hause empfangen. Er war im Morgenrock gewesen und hatte versichert, daß alles in bester Ordnung sei.
Dabei habe er sich aller Kommentare enthalten und seine Studenten nur angefleht, ihm zuliebe wie üblich in ihre Vorlesungen zu gehen. Und sie möchten es sich bitte aus dem Kopf schlagen, Rache an anderen Studenten zu nehmen! »Die Jungen sagten ja, um ihn nicht aufzuregen«, wisperte Toni an meinem Ohr. »Aber der Fall ist keineswegs ausgestanden. Sie kochen, allesamt!«
Am Nachmittag begab sich Giuseppe Fossi, der mittlerweile nicht mehr ganz so grün aussah, zu einer Versammlung des Universitätsrates, die für drei Uhr anberaumt war, während ich mich mit Toni zum Neubau aufmachte, um das Auspacken der Bücher überwachen zu helfen.
Daß ich das tat, war ein wahres Glück für das Prestige Giuseppe Fossis. Im Laufe des Vormittags waren die Bücher ohne jede Rücksicht auf alphabetische Ordnung oder Sachgebiete in die Kisten gestopft worden, was nicht nur für uns, sondern auch für die Angestellten in der neuen Bibliothek mindestens die doppelte Arbeit bedeutete.
So vertraute ich Toni den Wagen an, der, mit neuer Windschutzscheibe, wieder in Betrieb war, was Toni vorzüglich ins Programm paßte. So hatte er, zwischen beiden Gebäuden hin- und herratternd, die besten Chancen, weiteren Klatsch einzuheimsen, während ich in der neuen Bibliothek die Arbeit kontrollierte. Einer der Assistenten, der sehr viel gründlicher und eifriger war als die übrigen, hatte relativ schnell Band um Band
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