Das Geheimnis des Falken
seinen Willen durchgesetzt. Er war wieder da, vielleicht nicht, um sich aktiv einzuschalten, aber um wenigstens mit seinem Rat zur Verfügungen zu stehen.
Als ich hörte, daß Signorina Silvana sich auf das Esszimmer zubewegte, stand ich schnell auf und verließ das Haus, bevor sie mich in ein Gespräch verwickeln konnte. Irgendwie mußte ich versuchen, noch vor Aldo mit Signora Butali zu sprechen und sie dahinbringen, daß sie all ihren Einfluß aufbot, damit das Festival abgesagt wurde. Wie und unter welchem Vorwand freilich – das wußten die Götter …
Es war neun Uhr dreißig, und um zehn sollten die Feierlichkeiten in der Universität beginnen, aber es schien mir nicht wahrscheinlich, daß die Signora oder der kranke Präsident nach der langen Reise daran teilnehmen würden. Zehn war vielleicht gerade die richtige Zeit für einen Besuch. So machte ich mich auf den Weg in die Via del Sogni.
Die Sonne brannte bereits heiß vom wolkenlosen Himmel. Es kündigte sich einer jener Frühlingstage an, die mir aus meiner Kinderzeit noch in deutlicher Erinnerung waren – Tage, an denen die Hänge und Hügel bläulich in der Hitze flimmerten und die Stadt Ruffano, auf ihren beiden Hügeln thronend, die Welt zu ihren Füßen stolz zu beherrschen schien. Ich ging durch die Mauerpforte und klingelte an der Haustür. Das Mädchen, das ich bereits kannte, öffnete. Auch sie erinnerte sich an mich.
»Könnte ich wohl die Signora sprechen?« fragte ich.
Das Mädchen machte ein betretenes Gesicht und murmelte etwas davon, daß die Signora zu tun habe und daß sie und der Professor doch erst gestern abend spät aus Rom zurückgekehrt seien.
»Ich weiß«, sagte ich, »aber es ist dringend.«
Sie verschwand die Treppe hinauf, und während ich wartete, wurde mir bewußt, daß sich die Atmosphäre des Hauses abermals gewandelt hatte. Von der traurigen Leere vom Montagmorgen war nichts mehr zu spüren. Die Hausherrin war wieder da. Das verrieten nicht nur die Handschuhe auf dem Tisch, der Mantel, den sie achtlos über einen Stuhl geworfen hatte, nein, ein undefinierbarer Duft schwebte in der Diele und erinnerte an ihre Gegenwart. Aber diesmal beherbergte das Haus nicht nur sie, wodurch es mir um so geheimnisvoller, um so verlockender erschienen war und – gleich mich bei meiner ersten Mission – jeden Besucher verwirrt und verstohlen angezogen hatte. In diesem Haus befand sich jetzt auch ihr Mann. Es war sein Heim. Er war hier der Herr. Der Stock, der aufrecht im Ständer stand, der Überzieher, der Hut, ein noch unausgepackter Koffer, Bücherpakete – ja, die Gegenwart eines Mannes lag plötzlich in der Luft.
Das Mädchen kam die Treppen heruntergelaufen und brachte das Geräusch von Stimmen und von klappenden Türen mit.
»Die Signora wird gleich kommen«, sagte sie, »wenn Sie bitte solange hier Platz nehmen wollen.«
Sie führte mich in ein Zimmer, das links von der Diele lag: unser Esszimmer, wo wir am Sonntagmorgen immer unseren Aperitif getrunken hatten. Jetzt war es als Arbeitsraum eingerichtet.
Auch hier spürte man die Gegenwart des Hausherrn. Eine Briefmappe auf dem Schreibtisch, noch mehr Bücher, Briefe und der schwache, aber unverkennbare Duft einer Zigarre, die gestern abend hier geraucht worden war, erinnerte an ihn.
Ich hatte wohl zehn Minuten oder länger gewartet und mir vor Nervosität die Knöchel wund gebissen, ehe ich ihren Schritt auf der Treppe vernahm und von plötzlicher Panik erfasst wurde. Ich hatte keine Ahnung, was ich sagen sollte.
Als sie hereinkam und mich sah, malten sich Überraschung und Enttäuschung auf ihrem Gesicht, das zwar müde, abgespannt, in diesen vier Tagen irgendwie gealtert wirkte, mir aber eben noch erwartungsvoll und lebendig erschienen war.
»Beo!« rief sie aus. »Ich dachte, Anna hätte gesagt, daß Aldo …« Dann aber faßte sie sich blitzschnell und gab mir die Hand. »Seien Sie mir nicht böse«, bat sie, »ich bin ganz verwirrt. Das dumme Mädchen hat mir gesagt, der Herr, der Sonntag zum Abendessen da war, und vor lauter Hast und Unverstand …«
Sie nahm sich nicht die Mühe, den Satz zu Ende zu sprechen, und schließlich begriff ich auch so. Vor lauter Hast und Unverstand konnte sie sich unter dem ›Herrn, der Sonntag zum Abendessen da war‹, nur einen Mann vorstellen, und das gewiß war nicht ich.
»Da gibt es doch nichts zu entschuldigen, Signora«, sagte ich. »Ich habe um Verzeihung zu bitten. Ich erfuhr durch Jacopo, daß Sie und der
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