Das Geheimnis des Falken
und den Philologen und Kunststudenten am schärfsten in Erscheinung trat. Die plötzliche Verhängung des Ausgehverbots löste dann zusätzliche Verärgerung aus. In der Mensa wurde gestern abend von nichts anderem gesprochen.«
»Das habe ich mir gedacht«, sagte der Präsident, »und gerade die Stolzeren unter den Studenten waren natürlich entschlossen, die Behörde zum Teufel zu schicken. Ich hätte früher genauso reagiert.«
Er sah seine Frau an: »Der Junge, der zu Tode gekommen ist, war der Sohn Marellis«, sagte er. »Erinnerst du dich noch an Marelli? Der Besitzer des Hotels, in dem wir in Rimini gewohnt haben. Von dem Jungen weiß ich nur, daß er im dritten Jahr studierte, aber Elia wird mir Näheres sagen können. Welch eine Tragödie für die Eltern! Der einzige Sohn!«
Meine Kehle war trocken, und mit heiserer Stimme plapperte ich nach, was Signora Butali an Mitfühlendem vorbrachte. Inzwischen war sie nicht mehr so sehr auf meinen Aufbruch bedacht. Vielleicht bedeutete meine Anwesenheit eine gewisse Ablenkung für ihren Mann.
»Wann kommt der Arzt?« fragte er.
»Er hat gesagt, um halb zehn«, erwiderte sie. »Er kann jeden Moment hier sein.«
»Wenn der Polizeikommissar zuerst erscheint, muß der Arzt warten«, entschied er. »Bitte, Liebling, versuch ihn doch zu Hause zu erreichen. Wenn er dort nicht ist, wird er wahrscheinlich im Krankenhaus sein und kann zu Fuß herkommen. Es sind nur zwei Minuten.«
Sie zögerte einen Augenblick, bevor sie das Zimmer verließ, und warf mir einen warnenden Blick zu. Der Blick konnte bedeuten, daß ich ihren Mann nicht zu sehr ermüden möchte. Er konnte auch bedeuten, daß ich nicht von Aldo sprechen sollte. Ich hatte indessen nur den einen Gedanken: Aus dem Hause zu kommen, bevor der Kommissar eintraf. Aber zuvor wollte ich noch sagen, was ich zu sagen hatte.
»Wird dieser Unfall zur Folge haben, daß man das Festival absagt, Herr Professor?« fragte ich.
Er hatte sich eine kleine Zigarre genommen und war damit beschäftigt, sie in Brand zu setzen. So kam seine Antwort erst nach ein oder zwei Sekunden.
»Das wohl kaum«, sagte er. »An der Universität Ruffano studieren rund 5.000 junge Leute – ich spreche von denen, die hier tatsächlich hören. Ihnen einen der großen Tage des Jahres zu nehmen wegen eines bedauerlichen Unfalls, der einem einzelnen zugestoßen ist, wäre eine Maßnahme, die an Hysterie grenzt. Nein, das wäre nicht richtig. Sie können sicher sein, daß wir das nicht tun werden.«
Er zog an seiner Zigarre und runzelte die Stirn: »Nein«, wiederholte er, »Sie können sicher sein, daß wir das Festival nicht absagen werden. Aber warum interessiert Sie das? Wirken Sie mit?«
Auf diese Frage war ich nicht gefaßt gewesen.
Sein scharfer Blick durchbohrte mich.
»Ich weiß noch nicht«, sagte ich. »Vielleicht braucht mich der Direktor des Kunstrats für eine kleinere Rolle.«
»Sehr schön«, sagte er, »je mehr Teilnehmer, desto besser! Professor Donati kommt demnächst vorbei und wird über alles berichten. Die Wahl des diesjährigen Themas hat mich zwar ziemlich überrascht, aber er ist überzeugt, daß er die Sache großartig aufziehen wird, was er immer tut. Woher sind Sie?«
»Woher ich bin?« wiederholte ich lahm.
»Ja, aus welcher Stadt Sie kommen, von welcher Universität und so weiter? Ich denke, Sie arbeiten nur vorübergehend hier bei uns«, sagte er.
»Ja«, antwortete ich, und schon wieder schnürte sich mir die Kehle zu. »Ich komme aus Turin und brauche eine Stellung, um eine gewisse Zeitspanne zu überbrücken. Ich habe ein Diplom in modernen Sprachen.«
»Sehr gut. Und was halten Sie von der neuen Bibliothek?«
»Ich war sehr beeindruckt.«
»Und seit wann arbeiten Sie hier?«
»Seit einer Woche.«
»Erst seit einer Woche?«
Er nahm die Zigarre aus dem Mund und sah mich verwundert an.
»Verzeihen Sie«, sagte er, »aber ich hörte zufällig, wie das Mädchen oben zu meiner Frau sagte, der Herr, der am Sonntag zum Abendessen dagewesen sei, wünsche sie zu sprechen. Es war mir nicht bewußt, daß sie eine große Party für die Angestellten der Universität gegeben hat.«
Ich schluckte. »Es war nur eine kleine Party«, sagte ich. »Ich hatte das Glück, Signora Butali ein paar Bücher aus der Bibliothek bringen zu dürfen, und sie war so freundlich, mir etwas vorzuspielen. Daraus ergab sich dann irgendwie die Einladung zum Abendessen.«
»Ach so«, sagte er und schaute mich wieder an, aber sein Blick
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