Das Geheimnis des Falken
mir zu. »Vielleicht morgen, es kommt darauf an … Außerdem sind wir ja Nachbarn. Wir finden uns schon wieder.«
»Natürlich«, sagte ich, »gute Nacht und vielen Dank.«
Vorsichtig stahl ich mich in das Haus Nummer 24. Es war niemand zu sehen, und ich hörte, daß im Wohnzimmer der Silvanas das Fernsehgerät im Gange war.
Ich nahm das Telefonbuch, das in der Halle neben dem Apparat lag, und suchte. Donati. Professor Aldo Donati.
Da war die Adresse: 2. Via del Sogni.
Ich ging wieder hinaus auf die; Straße.
9. Kapitel
Nummer 2, Via del Sogni, war ein hohes, schmales Gebäude, das ganz für sich allein stand und auf die Kirche San Donato und die lang gestreckte Via delle Mura herabschaute. Früher hatte hier unser Hausarzt gewohnt, der gute Doktor Mauri, der nach mir sah, wenn immer ich hustete oder kränkelte – es hieß, daß ich eine schwache Lunge hätte –, und ich erinnere mich, daß er nie ein Stethoskop benutzte, wenn er mich abhorchte, sondern einfach das Ohr auf meine nackte Brust legte, wobei er mich um die mageren Schultern faßte, eine plötzliche Annäherung, die ich gräßlich fand. Er war schon damals nicht mehr der jüngste und mußte inzwischen tot sein oder jedenfalls längst nicht mehr fähig, seinen Beruf auszuüben.
Ich stand vor dem Haus und sah das Namenschild – Donati – an der rechten Tür des Doppeleingangs.
Linkerhand lag die Portierswohnung, in der ehemals die Köchin von Dr. Mauri gehaust hatte.
Ich starrte auf das Schild. Wir hatten in Nummer 8 ein ganz ähnliches Schild gehabt, und Marta pflegte ihren Stolz darein zu setzen, es blitzblank zu halten. Bei einiger Phantasie hätte man dieses hier für dasselbe halten können. Neben dem Schild war eine Klingel. Ich legte den Finger auf den Knopf und drückte.
Ich konnte hören, wie es drinnen läutete, aber es kam keine Antwort. Aldo lebte wahrscheinlich allein, oder aber die Person, mit der er zusammenwohnte, befand sich zur Zeit, zusammen mit ihm, im Zimmer der Cherubim. Ich läutete noch einmal, um sicher zu gehen, aber nichts geschah.
Enttäuscht wandte ich mich ab und schaute zur Portierstür hinüber. Nach kurzem Zögern klingelte ich dort. Kurz darauf öffnete sich die Tür, und ein Mann, vermutlich der Portier, fragte, was ich wünsche. Die buschigen Augenbrauen und auch das inzwischen ergraute Bürstenhaar kamen mir bekannt vor. Dann fiel es mir ein: Der Mann war ein Kriegskamerad meines Bruders, einer vom Bodenpersonal des Flugplatzes. Er hatte sich an Aldo angeschlossen, und der hatte ihn einmal im Urlaub mit nach Hause gebracht. Abgesehen von den grauen Haaren hatte er sich nicht verändert.
»Professor Donati ist nicht zu Hause«, sagte der Mann, »er ist im Palazzo Ducale.«
»Das weiß ich«, sagte ich. »Dort habe ich ihn bereits gesehen, aber nicht privatim. Ich möchte ihn in einer persönlichen Angelegenheit sprechen.«
»Leider kann ich Ihnen nicht sagen, wann der Professor zurückkommt. Er hat sich nicht fürs Abendessen angesagt. Wenn Sie wollen, hinterlassen Sie doch bitte Ihren Namen und rufen Sie später an, um einen Termin auszumachen.«
»Mein Name ist Fabbio«, sagte ich, »aber der Name wird ihm nichts sagen.«
Ich war nicht sicher, ob ich die Anonymität, die ich meinem Stiefvater verdankte, in diesem Augenblick segnete oder verfluchte.
»Ich denke daran, Signor Fabbio«, sagte der Mann, »wenn ich den Professor heute abend nicht mehr sehe, sage ich ihm morgen früh Bescheid.«
»Dankeschön«, sagte ich, »vielen Dank. Gute Nacht.«
»Gute Nacht. Signore.«
Er schloß die Tür. Ich blieb vor dem Doppeleingang stehen und schaute auf die Via del Sogni. Inzwischen war mir sein Name wieder eingefallen. Jacopo. Er hatte sich bei uns nicht wohl gefühlt, als mein Bruder ihn damals für den Urlaub mitgebracht hatte. Er hatte den Verdacht gehabt, er sei im Wege. Marta war diejenige, die sofort begriff. Sie holte ihn zu sich und zu Maria Ghigi in die Küche.
Ich überlegte, ob es sinnvoll sei, zum Palazzo Ducale zurückzugehen und meinen Bruder zu suchen. Aber ich gab den Gedanken auf der Stelle wieder auf. Er würde von seiner Leibwache und vielleicht von der ganzen Horde verzückter Studenten umringt und abgeschirmt sein.
Gerade wollte ich aus dem überdachten Eingang auf die Straße treten, als ich Schritte hörte. Ich spähte ins Dunkel hinaus und sah, daß da eine Frau kam und daß diese Frau Carla Raspa war. Rasch trat ich zurück ins Portal und stellte mich in die offene Tür
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