Das Geheimnis des Falken
nach und schüttelte nachsichtig den Kopf.
»Was für Bambini!« sagte sie. »Nicht mehr Verantwortungsgefühl als Wickelkinder. Dabei allesamt hochbegabt. Sie werden sehen, in einem Jahr machen die ihre Examina mit Auszeichnung, und dann landen sie in irgendeiner weltverlorenen Bank-Filiale.«
Als ich aus dem Haus trat, um mich zum Palazzo Ducale aufzumachen, sah ich, daß ein paar Häuser weiter jemand auf mich wartete.
»Guten Morgen, Fremder«, sagte Carla Raspa.
»Guten Morgen, Signorina«, grüßte ich zurück.
»Ich hatte den Eindruck gewonnen«, sagte sie und bog neben mir in die Straße zur Piazza Matrice ein, »daß für Sonntag die Möglichkeit eines Rendezvous erwogen worden war.«
»Richtig«, sagte ich. »Und was ist daraus geworden?«
»Ich war den ganzen Tag zu Hause«, sagte sie achselzuckend. »Sie hätten nur vorbeizukommen brauchen.«
»Ich war unterwegs«, sagte ich. »Irgendein Impuls trieb mich zur Messe nach San Cipriano, wo ich auf keine Geringere als die Präsidentengattin stieß, der ich am Tag zuvor ein paar Bücher gebracht hatte. Ich begleitete sie nach Hause, und sie lud mich zu einem Drink ein.«
Carla Raspa blieb stehen und sah mich verblüfft an.
»Was Sie natürlich angenommen haben!« rief sie aus. »Was ich Ihnen wiederum nicht verdenken kann. Ein huldvolles Kopfnicken der Signora Butali, und Sie waren zur Stelle. Kein Wunder, daß Sie sich die Mühe nicht genommen haben, den Hügel bis zu mir hinabzuwandern, nachdem Sie in der Via del Sogni Einlass gefunden hatten. Wer war denn alles da?«
»Ein Wirbel von Professoren«, sagte ich, »darunter mein Vorgesetzter, Signor Fossi, nebst Gemahlin.«
Ich legte den Ton bewußt auf Gemahlin. Sie lächelte und ging weiter.
»Armer Giuseppe!« sagte sie. »Ich kann ihn mir vorstellen in seiner ganzen Würde, aufgeplustert wie ein Täuberich wegen der Einladung. Wie fanden Sie Livia?«
»Schön und charmant. Sehr viel schöner und charmanter als Signorina Rizzio.«
»Du meine Güte! Die war auch da?«
»Ja, mit ihrem Bruder. Beide reichlich steif für meinen Geschmack.«
»Unser aller Geschmack! Für einen Neuankömmling haben Sie es weit gebracht, Armino Fabbio. Jetzt kann Sie keiner mehr stoppen. Meinen Glückwunsch! Das habe ich in zwei Jahren nicht geschafft, wahrlich.«
Wir gingen die Via Vittorio Emanuele hinauf, die von einkaufenden Menschen wimmelte und von verspäteten Studenten, die zu frühen Vorlesungen eilten.
»Der Direktor des Kunstrats war nicht zufällig auch da?« fragte Carla.
Ich machte in ihren Augen inzwischen eine hinreichend gute Figur, fand ich. Ich hatte es nicht nötig, mich noch mehr herauszustreichen. Außerdem war Diskretion geboten. So sagte ich nur: »Ja, er schaute auf einen Augenblick herein. Ich ging vor ihm weg. Wir wechselten ein paar Worte, während er seinen Campari trank. Er gab sich freundschaftlich und wirkte ohne seine Leibgarde weniger imposant.«
Wieder blieb sie stehen und starrte mich an. »Nicht zu glauben!« rief sie aus. »Drei Tage in Ruffano, und ein derartiges Glück! Sie müssen doch hingerissen sein! Hat er von mir gesprochen?«
»Nein«, erwiderte ich. »Dazu war auch kaum Zeit. Ich glaube auch nicht, daß er wußte, wer ich war.«
»Was für eine Chance, die ich da verpasst habe«, sagte sie. »Wenn ich darauf gekommen wäre … Sie hätten ihm etwas ausrichten können.«
»Sie dürfen nicht vergessen, daß dieser Vormittag ein reiner Glücksfall für mich war«, erinnerte ich sie. »Hätte ich mich nicht zur Messe begeben …«
»Das macht Ihr Kindergesicht«, sagte sie. »Erzählen Sie mir nicht, daß Livia Butali sich die Mühe genommen hätte, mich zu einem Aperitif einzuladen, wenn ich zur Messe gegangen und ihr dort begegnet wäre. Wahrscheinlich macht es ihr Spaß, sich quer durch die Fakultäten als Hausherrin aufzuspielen, während ihr Mann in seinem römischen Krankenhaus in sicherer Entfernung ist. Hat Aldo Donati ihr den Hof gemacht?«
»Nicht daß ich wüsste«, sagte ich. »Professor Rizzio und sie hatten sich anscheinend mehr zu sagen.«
Wir verabschiedeten uns auf der Piazza Matrice. Von einer weiteren Verabredung war nicht die Rede. Aber ich hatte das Gefühl, daß es noch dazu kommen würde.
Der arbeitslose Sonntag hatte mich im Tempo hinabgeschraubt. Als ich in der Bibliothek eintraf, stellte ich fest, daß die anderen, inklusive meines Chefs Giuseppe Fossi, bereits zur Stelle waren. Sie standen alle auf einem Haufen und diskutierten
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