Das Geheimnis des Felskojoten (German Edition)
haben wir die Ausweiskarten«, antwortete Shane. »Genau wie bei den Büroräumen eben. Ist dir der Mechanismus nicht aufgefallen?«
Serena schüttelte den Kopf.
»Und wegen der Zeit: Die Typen werden noch eine Weile mit den Kojoten beschäftigt sein. Aber wir müssen uns beeilen.«
Sie kamen an die erste Zimmertür.
Serenas Hände zuckten unruhig. War sie darauf gefasst, was sie dahinter vorfinden würden?
Shane schob seine Karte in den dafür vorgesehenen Apparat, und die Tür sprang auf.
»Schnell, wir wollen dir helfen«, rief er und wollte schon zur nächsten Tür weitereilen. Aber er erhielt keine Antwort.
Shane steckte den Kopf zur Tür hinein. Ein junger Mann, kaum zwanzig, saß auf einem einfachen Bett, das an die weißgestrichenen Wände geschraubt war, und starrte ins Nichts. Er trug einen Schlafanzug, so wie man ihn aus Krankenhäusern kennt, und einen Morgenrock. Sein Kopf war kahlgeschoren. Der Raum war klein und von Neonröhren beleuchtet. Außer dem Bett gab es noch eine Toilette und ein Waschbecken. Das war alles.
Das ist keine Unterkunft , schoss es Serena durch den Kopf, das ist eine Gefängniszelle!
»Was fehlt ihm?«, flüsterte sie mit laut klopfendem Herzen.
»Ich weiß es nicht«, erwiderte Shane. »Vielleicht haben sie ihm irgendwelche Medikamente verabreicht.«
Dann kam ihm ein Gedanke. »Hey«, rief er noch einmal und zog den weißen Kittel aus. »Wir sind Freunde. Wir wollen euch hier rausholen!«
Der junge Mann wandte langsam den Kopf. Er musterte Shane eine Weile. Dann flackerte plötzlich neues Leben in seinen Augen auf.
»Raus?« fragte er. »Fort von hier?«
»Ja«, erwiderte Shane mitfühlend. »Aber wir müssen uns beeilen. Komm schnell.«
Shane lief zur nächsten Zelle.
»Reena, nimm deine Karte und hilf mir«, rief er. »Wir haben nicht viel Zeit.«
Serena lief zur anderen Seite des Korridors und begann, die Türen dort zu öffnen.
Immer mehr Menschen schlossen sich ihnen an. Männer, Frauen, Jugendliche, Kinder. Menschen jeglicher Abstammung, jeglicher Hautfarbe, jeglicher sozialer Abstufung. Viele stammten aus Asien und sprachen gar kein oder nur sehr wenig Englisch. Andere kamen aus Mexiko, den Vereinigten Staaten oder Kanada. Einige von ihnen standen unter Medikamenteneinfluss. Sie konnten sich kaum auf den Beinen halten. Aber immer gab es welche, denen es besser ging und die den Schwächeren unter die Arme griffen.
Besonders den Kindern schien man Beruhigungsmittel gegeben zu haben. Sie konnten nicht gehen und lallten nur. Manche begannen zu weinen, sobald jemand sie hochnahm. Andere lagen apathisch in den Armen der Erwachsenen.
Serena ertrug den Anblick kaum. Wie konnte jemand Menschen nur so etwas antun und besonders Kindern? Unermessliche Wut stieg in ihr auf. Wie in einem Wahn rannte sie von einer Tür zur nächsten. Sie musste diesen armen Geschöpfen helfen, und wenn es sie das Leben kosten sollte!
Sie war so sehr in ihr Tun versunken, dass sie den jungen Mann nicht bemerkte, der mit einem kleinen Mädchen auf dem Arm aus einem der Seitengänge kam. Sie prallte mit ihm zusammen und sah erschrocken auf.
»Fabian!«, rief sie erleichtert, als sie ihn erkannte, und drückte ihren Bruder mitsamt dem Kind an sich.
»Serena?«, stieß er überrascht aus. »Shane? Was macht ihr hier? Wie seid ihr hierhergekommen?« Er blickte auf die Menschenmenge hinter ihnen.
»Wir tun genau das, was du auch machst«, grinste Shane. Er deutete zuerst auf das Band mit der Ausweiskarte zum Öffnen der Türen, das um Fabians Hals hing, und dann auf die Personen, die Fabian befreit hatte und die ihm nun folgten. »So schnell wirst du uns nicht los. Alles andere später.« Er klopfte seinem Freund auf die Schulter. »Und wohin geht es jetzt?«
»In dieser Richtung sind alle Zellen leer«, berichtete Fabian.
»In diesem Korridor auch« erklärte Shane. »Weißt du, wo die anderen Zellen sind?«
»Mir nach«, sagte Fabian mit einem dankbaren Lächeln. Sie eilten den Gang entlang. Hinter ihnen folgte ein wahres Meer aus Menschen.
Einer inneren Eingebung folgend, zog Serena ihre digitale Pocketkamera aus der Hosentasche. Wenn man jemanden anklagen wollte, brauchte man Beweise. Diese Bilder würden mehr sagen als Worte. Ohne stehen zu bleiben, drehte sie sich um und machte ein paar schnelle Fotos.
Das letzte zeigte Fabian mit dem Kind auf dem Arm. Das Mädchen klammerte sich hilfesuchend an den hochgewachsenen Mann und blickte mit seinen großen dunklen Augen verängstigt
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