Das Geheimnis des Felskojoten (German Edition)
ins Herz geschlossen: Bruder Lukas. Bruder Lukas war ungefähr Mitte sechzig und ein ehemaliger Seemann. Er lebte seit fünfundzwanzig Jahren in Engelstein und hatte Fabian gleich am ersten Tag unter die Fittiche genommen. Lukas war immer gut gelaunt, scherzte gern und konnte sich an das Gebot des Schweigens, das den Kartäusermönchen auferlegt war, nur schwer halten. Fabian musste unwillkürlich schmunzeln, als er an den gesprächigen Mönch dachte. Es gab kaum einen Augenblick, außer natürlich im Gebet, an dem Lukas ernst war. Aber er hatte sich in den vergangenen Wochen als wahrer Freund erwiesen. Fabian hatte ihn um eine Einweisung in den Seemannsjargon gebeten. Bruder Lukas hatte ihm bereitwillig und ohne Fragen zu stellen Auskunft gegeben. Viel gründlicher sogar, als Fabian es sich vorgestellt hatte, wie er jetzt grinsend feststellte. Tatsache blieb jedoch, dass es Fabian ohne Lukas´ Kenntnisse niemals gelungen wäre, in Rotterdam als Matrose anzuheuern und den Klauen der IPC-Handlanger zu entkommen. Dafür war er Bruder Lukas bis in alle Ewigkeit dankbar. Es tat ihm nur leid, dass dieser nie erfahren würde, warum er so plötzlich aus dem Kloster verschwunden und was aus ihm geworden war. Aber Fabian wusste, dass sie sich im Leben nach dem Tod wiedersehen würden. Damit gab er sich zufrieden.
»Das ist mein Wagen«, sagte Serena, als sie den Parkplatz erreichten. Sie deutete auf den dunkelblauen Jeep, den sie am Flughafen in New York gemietet hatte.
»Ich sehe, du hast dich auf schwieriges Gelände eingestellt«, zog Shane sie auf.
Serena zog eine Grimasse.
»Man kann nie umsichtig genug sein«, erwiderte sie betont gleichgültig.
Langsam gewöhnte sie sich wieder an solche Späße. Als sie Fabian noch regelmäßig gesehen hatte, waren derartige Neckereien zwischen ihnen an der Tagesordnung gewesen. Das lag nun lange zurück. Viel zu lange. Aber erst jetzt, als sie Shane Storm Hawk getroffen hatte, der ihrem Bruder vom Wesen her so ähnlich schien, wurde ihr bewusst, wie sehr sie dieses Scherzen vermisst hatte.
»Wie lange werden wir fahren müssen?«, erkundigte Serena sich.
»Nicht lange. Bis nach Sheridan – das ist der Ort, der dem Bighorn Medicine Wheel am nächsten ist – dürften es nicht mehr als dreihundert Kilometer sein. Hast du eine Straßenkarte dabei?«
Serena nickte und reichte ihm die Karte.
»Vielleicht ist es besser, wenn du fährst«, sagte sie. »Ich bin in den letzten Tagen Tausende von Kilometern gefahren und würde gerne mal aussetzen.«
»Kein Problem«, antwortete Shane und drückte ihr die Karte in die Hand. »Ich fahre, du navigierst. Wo sind die Wagenschlüssel?«
Serena reichte sie ihm. Gleichzeitig fragte sie sich, ob es wirklich klug gewesen war, Shane ans Steuer zu lassen. Sie hegte die unangenehme Vorahnung, dass sie sich die ganze Zeit über würde anhören müssen, dass Männer eh die besseren Autofahrer waren. Aber für Zweifel war es nun zu spät. Shane saß bereits hinterm Lenkrad.
»Komm schon, schlag keine Wurzeln«, rief er ihr zu.
Serena warf einen letzten Blick auf Bear Butte, dann stieg sie in den Wagen. Sie wäre gerne länger geblieben, hätte gerne mehr Fotos gemacht, doch die Zeit drängte. Irgendwann einmal, wenn dies alles vorbei war, könnte sie vielleicht hierher zurückkehren und es nachholen.
Shane hielt kurz an dem kleinen Kassenhäuschen an. Er verabschiedete sich von der hilfsbereiten jungen Indianerin und hinterließ seine Visitenkarte, verbunden mit der Bitte, dass sie ihn anrufen möge, sollte Fabian doch noch am Bear Butte auftauchen.
Als sie weiterfuhren, sah Serena ihn fragend an.
»Ich dachte, du wärst dir so sicher, dass wir nach Wyoming fahren müssen. Warum dann die Visitenkarte?«
Shane grinste.
»Kennst du nicht das alte Pfadfinder-Motto: Sei immer auf alles vorbereitet? «
»Nein«, entgegnete sie. »Aber es hört sich sehr weise an.«
Nach einer Weile fragte Shane: »Ist dir der schwarze Hummer auf dem Parkplatz aufgefallen?«
»Natürlich. Diese Wagen scheinen hier in den USA zurzeit sehr angesagt zu sein, besonders in Schwarz, ich sehe andauernd welche.«
Shane ging nicht darauf ein. Stattdessen meinte er: »Es ist schon zwei Uhr vorbei. Wir sollten irgendwo anhalten und etwas essen. Ich bin jedenfalls am Verhungern. Außerdem müssen wir tanken.«
Serena sah auf die Benzinanzeige. Shane hatte recht, der Tank war beinahe leer. Und hungrig war sie auch. Sie hatte seit dem vergangenen Abend nichts gegessen.
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