Das Geheimnis des Felskojoten (German Edition)
Aber es ist nicht irgendein Adler. Es ist der Golden Eagle, dem diese hohe Position zukommt. Unser Volk verwendet bei Zeremonien und zur Herstellung von Kopfschmuck ausschließlich seine Federn.«
»Wie auf diesem Foto«, stellte Serena aufmerksam fest.
»Das hast du gut beobachtet«, sagte Großmutter Storm Hawk. »Der Mann auf diesem Foto trägt ein traditionelles warbonnet . Sieh nur, wie die Adlerfedern ganz gerade und aufrecht nach oben zeigen. Auch die roten Punkte an den Spitzen der Adlerfedern sind ein Erkennungsmerkmal unseres Stammes.«
Serena betrachtete das Foto näher. Es war ein modernes Farbfoto und zeigte einen jungen Mann in traditioneller Blackfoot-Aufmachung.
»Die Federn eines traditionellen warbonnets sind allesamt Schwanzfedern eines Golden Eagle«, erklärte sie. »Und der Besitzer musste sich jede einzelne von ihnen durch eine tapfere Tat verdienen.«
Großmutter Storm Hawk ging zu der hölzernen Kiste hinüber, die in der einen Ecke des Zimmers stand. Vorsichtig öffnete sie den Deckel. Die Kiste schien angefüllt mit Dingen, die ihr sehr am Herzen lagen. Behutsam schob sie ein paar Gegenstände zur Seite, bis sie gefunden hatte, wonach sie suchte.
Als sie sich Serena wieder zuwandte, hielt sie ein langes dünnes Päckchen in den Händen, das in weiches helles Leder eingeschlagen war.
Serena sah die alte Dame gespannt an.
Großmutter Storm Hawk schob das Leder bedächtig auseinander. Darunter kam eine lange braune Feder mit goldenen Flecken zum Vorschein. Die Feder eines Golden Eagle.
Serena stockte der Atem, so schön war die Feder. Aber nicht nur die Feder selbst, auch die wundervolle Handarbeit, die jemand daran verrichtet hatte. Das untere Ende des Kiels war nämlich mit Leder umwickelt und mit Fransen verziert. Eine feine, großzügig angelegte Stickerei aus kleinen bunten Perlen vollendete die kunstvolle Arbeit.
»Diese Feder ist ein Familienerbstück und mehr als hundert Jahre alt«, erklärte Großmutter. »Bei unserem Volk wird der Golden Eagle Pitau genannt. Er symbolisiert Mut und Weisheit und wird als Botschafter für Great Spirit angesehen. Er ist der Behüter aller Dinge und schützt uns gegen das Böse – egal wie mächtig dieses Böse auch sein mag.« Sie hielt inne und blickte Serena eindringlich an.
Serena lief ein kalter Schauer über den Rücken. Sie wusste, was Großmutter ihr zu verstehen geben wollte – und es machte ihr Angst.
Egal wie mächtig dieses Böse auch sein mag. Großmutter musste die Situation für noch gefährlicher halten, als Serena angenommen hatte.
»Wenn Pitau am Himmel gesichtet wird«, fuhr Großmutter fort, »dann wird es als Zeichen dafür angesehen, dass im bevorstehenden Kampf Gerechtigkeit vollstreckt werden wird.«
Wieder dieser eindringliche Blick. Diesmal fing auch Shane ihn auf.
»Merke es dir gut, Kind«, sagte die alte Dame. »Und wenn Pitau sich dir zeigt, dann schöpf neue Hoffnung – selbst wenn alles aussichtslos erscheint.«
Großmutter Storm Hawk wickelte die Feder wieder ein und legte das lederne Bündel zurück in die Kiste. Doch als sie sich erneut zu Serena umwandte, waren ihre Hände nicht leer. Eine andere Feder lag in ihrer Hand.
»Der Besitz einer Adlerfeder ist heutzutage offiziell nur denjenigen gestattet, die eine status card haben, die bezeugt, dass die Person einer indianischen Nation angehört«, erklärte sie ruhig. »Aber die Aufgabe, die vor euch liegt, ist zu gefährlich, und die Gegner sind zu mächtig. Ihr braucht alle Hilfe, die ihr bekommen könnt. Shane besitzt bereits eine Adlerfeder. Doch ich möchte, dass auch du eine bei dir trägst.«
Sie reichte Serena die Feder. Sie glich der, die sie Serena gerade gezeigt hatte, nur war sie sehr viel kleiner.
»Aber ich habe mir die Feder nicht verdient«, sagte Serena zaghaft. »Ich habe keine tapfere Tat begangen.«
Großmutter Storm Hawk lächelte.
»Zunächst einmal muss ich dir sagen, dass du dich täuschst. Aus Deutschland aufzubrechen und auf einen anderen Kontinent zu fliegen, um in der Fremde ganz allein nach dem verschwundenen Bruder zu suchen, der in dir unbekannten Schwierigkeiten steckt – das allein ist eine sehr tapfere Tat. Aber eine Feder wie diese muss nicht unbedingt durch eine tapfere Tat verdient werden, denn sie gehört nicht zu einem warbonnet . Sie darf von bestimmten Personen unter bestimmten Umständen an jemanden verschenkt werden, der besonderen Schutz oder besondere Hilfe braucht. Du siehst, auch unter diesem Aspekt
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