Das Geheimnis Des Kalligraphen
zuvor hatte er das Bild so gesehen, wie er es jetzt sah.
2.
A uf einem thronähnlichen Stuhl saß in der ersten Reihe der Großvater, mit ihm, dem Lieblingsenkel, auf dem Schoß, und beide schauten mit triumphierendem Blick in die Kamera. Großmutter Farida hatte in einer gewissen Entfernung links von ihnen auf einer kleinen Bank mit Blumen Platz genommen, als gehörte sie nicht zu ihrem Mann. Hinter der Großmutter, genau in der Mitte des Bildes, stand der jüngste Onkel Abbas und links von ihm Onkel Baschir. Zu ihrer Linken stand einsam Hamids Vater. Er war der erstgeborene Sohn. Statt das Geschäft seines Vaters zu übernehmen, wie das bei Erstgeborenen Sitte war, entschied er sich für die Kalligraphie, blieb aber sein Leben lang ein mittelmäßiger Handwerker. Sein Blick war matt. In gewissem Abstand zu ihm, als wollte sie ihre Distanz zu dieser Familie demonstrieren, stand die Mutter mit düsterem Gesicht und sah in die Ferne.
Rechts in der Mitte hinter dem Großvater stand Tante Majda mit ihrem Mann Subhi, in Uniform. Damals war er noch Offizier der französischen Luftwaffe. Später wurde der erfahrene Flieger mit viel Geld und der Aussicht auf die Staatsangehörigkeit von der jungen saudischen Armee abgeworben. Er wanderte nach Saudi-Arabien aus, aber Tante Majda fand das Leben dort langweilig und vertrug die Hitze und Einsamkeit nicht. Sie kam jeden Sommer mit ihren Kindern nach Damaskus. Sie hatte bald neun Kinder, und ihr Aufenthalt in Damaskus wurde mit den Jahren immer länger. Irgendwann wurde gemunkelt, dass ihr Mann eine saudische Prinzessin geheiratet habe. Das Königshaus sah das gerne, weil Subhi einen hohen Posten im Verteidigungsministerium bekleidete.
Später, als Tante Majda alt wurde, kam sie nur noch allein nach Damaskus, ihre Söhne und Töchter blieben beim Vater oder ihren Familien, und nur langsam begriff man, dass die Tante allein lebte. Der Ehemann ließ ihr eine großzügige Rente zukommen, aber er besuchte weder sie noch seine Stadt jemals wieder.
Majda mochte Hamid, aber er konnte nur schwer Kontakt zu ihr halten, weil sie seine Eltern nicht leiden konnte, doch wenn er ihre Hilfe brauchte, stand sie ihm bei, so auch bei der Vermittlung seiner ersten und seiner zweiten Frau.
»Großvater hatte recht, Tante Majda ist eine Pechbringerin, was immer sie anfasst, geht schief«, flüsterte Hamid. Er richtete seinen Blick erneut auf das Bild. Zwischen der Tante und ihrem Mann stand ihr erstgeborener Sohn Ruschdi. Er war drei Jahre älter als Hamid und schielte stark. Hamid dachte damals, Ruschdi mache Spaß und schiele, um andere zum Lachen zu bringen, aber als der Junge ihn an beiden Ohren zog und dabei immer noch fürchterlich schielte, lachte Hamid nicht mehr. Die vier Schwestern von Ruschdi wohnten der Feier nicht bei und waren daher auch nicht auf dem Foto zu sehen. Sie waren bei ihren anderen Großeltern, die im Gegensatz zu Großvater Farsi Mädchen mochten.
Rechts von Schwager Subhi posierte Tante Sa’dije mit ihrem Verlobten Halim, wie wenn sie in der Presse erscheinen würden. Halim war damals ein berühmter Volkssänger und Schwarm aller jungen Frauen in Damaskus. Er brachte die Tante nach drei Jahren Ehe zurück, als unangetastete Jungfrau, wie die Frauen lästerten. Er reichte die Scheidung ein und flüchtete mit seinem Liebhaber, einem kanadischen Diplomaten, ins Ausland. Tante Sa’dije war bildhübsch und heiratete schon kurz darauf einen jungen Regisseur. Sie wanderte mit ihm in die USA aus, und die Familie hörte nie wieder von ihnen.
Schräg vor Halim, dem Sänger, stand Tante Basma, die damals erst zwölf war. Die Großmutter hatte sie mit vierzig bekommen und mochte sie überhaupt nicht. Basma war das schwarze Schaf der Familie. Selbst auf dem Foto konnte Hamid erkennen, dass sie mit dem Ganzen nicht einverstanden war. Sie schaute weder feierlich nochfreundlich, sondern sah den Fotografen empört an, als wollte sie von ihm eine Erklärung für den ganzen Aufwand, den die Familie an diesem Tag getrieben hatte.
Basma hatte sich Mitte der dreißiger Jahre in einen jüdischen Arzt verliebt und war mit ihm nach Israel ausgewandert. Das Land hieß damals Palästina und stand unter englischer Besatzung.
Großvater fühlte sich persönlich beleidigt und enterbte sie demonstrativ, mit angesehenen Händlern und Scheichs als Zeugen, um etwas von seinem Ruf zu retten.
Neben Tante Basma stand, weil Großmutter abergläubisch war und Angst vor der Zahl dreizehn
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