Das Geheimnis Des Kalligraphen
Frau irgendwo auf dieser Welt amüsierte?
Der Großvater war ein Lebemann mit vielen Gesichtern und Seelen gewesen. Er war der glücklichste Mann in Damaskus und zugleich so bitter enttäuscht über seine Söhne, dass er Hamid aufgefordert hatte, doch bitte schnell zu wachsen und sein Ansehen zu retten, sonst wäre alles, was er aufgebaut habe, verloren.
Hamid war damals noch nicht einmal sieben und nahm sich vor, doppelt so viel zu essen, damit er schneller wüchse.
Später erfuhr Hamid, dass seine Großmutter ihn deshalb nichtmochte, weil sie alles, was ihrem Mann gefiel, nicht leiden konnte: Feste, Frauen und Lachen. »Wenn ich jemanden unsympathisch finde«, sagte der Großvater einmal, »ist sie am nächsten Tag mit ihm verbrüdert.«
Hamid hielt die Lupe näher an das Gesicht des Großvaters. Schmerz sah er in den Winkeln der Augen und des Mundes. Und Schmerzen, schwer wie Berge, musste der Großvater ertragen. Er war Perser und als vierjähriges Kind mit seinem Vater aus dem Iran nach Damaskus geflüchtet. Er hatte erleben müssen, wie Fanatiker seine Schwester und seine Mutter umbrachten, weil jemand den Vater wegen seiner Sympathie für eine rebellische Sufisekte angezeigt hatte.
Ahmad und sein Sohn Hamid entkamen ihren Häschern wie durch ein Wunder nach Damaskus, das für viele Flüchtlinge eine gastliche Stadt war, die auch ihn und seinen Vater aufnahm. Ahmad Farsi, ein Teppichhändler, war damals bereits sehr reich. Mit seinen geretteten Golddinaren kaufte er ein herrliches Haus in der Nähe der Omaijaden-Moschee und das große Geschäft im Suk al Hamidije, das Großvater Hamid Farsi nach dem Tod seines Vaters weiterführte.
Bald wurden Ahmad und sein Sohn Syrer. Religiöse Fanatiker, welcher Sekte auch immer sie angehörten, hasste er mehr als den Teufel, »denn der Teufel ist ein Fürst von edler Gestalt«, erzählte er bis zum Ende seines Lebens, »er hat mir weder Tochter noch Frau genommen. Ein fanatischer Nachbar hat beide eigenhändig erwürgt.«
Er betete nie.
Auch sein Sohn, Hamids Großvater, suchte die Moschee nur dann auf, wenn er einen der religiösen Händler treffen wollte. Er lebte in einem für jedermann offenen Haus, tafelte mit Juden und Christen, als wären sie seine Verwandten.
Auf dem Bild trug Großvater Krawatte und Weste, in deren Tasche eine goldene Uhr steckte, die Uhrkette konnte man auf dem Bild noch erkennen, obwohl sie aus feinen Goldfäden geflochten war. Hamid Farsi war zur Zeit der Aufnahme der bekannteste Teppichhändler der Stadt.
Als der Großvater starb, ging sein Enkel Hamid wie betäubt hinter dem Sarg her. Er war elf oder zwölf und bereits Lehrling bei Serani,dem großen Meister der Kalligraphie. Er konnte nicht verstehen, dass der Tod endgültig war. Und auch nicht, warum der Tod es so eilig hatte mit dem liebsten Menschen. Er hätte die Gasse um viele widerliche Nachbarn erleichtern können.
Erst viel später begriff er, dass er an diesem Tag sein Glück begraben hatte. Es lag unsichtbar im Sarg neben seinem Großvater. Nie wieder fühlte er das Kribbeln, das ihm das Herz erfrischte, sobald er seinen Großvater erblickte. Natürlich hatte er viel erreicht, wofür ihn Hunderte von mittelmäßigen Kalligraphen beneideten, aber keiner von ihnen wusste, dass er, der bekannte Hamid Farsi, unglücklich lebte.
Nach Großvaters Tod zerstritten sich die drei Söhne. Sein Vater bekam nichts außer fünf Teppichen. Das Haus hatte der Großvater dem mittleren Sohn vererbt. Besitz und Vermögen des großen Geschäfts im Suk al Hamidije erhielt der jüngste Sohn. Ihn, den Erstgeborenen, hatte der Großvater übersehen, oder er hatte ihm nicht verziehen, dass er nicht im Geschäft arbeiten wollte und seinen eigenen Weg gegangen war.
Hamids Vater war ein religiöses Kind gewesen. Ihn faszinierte die Schrift im Koran und an den Moscheenwänden, lange bevor er sie lesen konnte. Er wollte von Anfang an Kalligraph werden und wurde schließlich auch einer, aber er war in allem, was er tat, ein braver Nachahmer von mittelmäßiger Begabung.
Hamids Mutter behauptete, Großvater habe ihren Mann enterbt, weil er sie verachtete und seinen Sohn lieber eine Cousine heiraten lassen wollte, was die Mutter in ihrer Meinung bestärkte, dass die Familie ihres Mannes – ihn ausgenommen – aus Halunken und Bösewichtern bestand.
Siham, Hamids Schwester, war der Ansicht, der Vater wäre enterbt worden, weil er Hamid kurz vor Großvaters Tod gezwungen hätte, zu einem Kalligraphen
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