Das Geheimnis des letzten Moa: Neuseelandsaga (German Edition)
stören. Für sie zählte allein, dass Thomas ihr jeden Wunsch erfüllte. Und so war es schon früher gewesen. Seine zweite Ehe war kinderlos geblieben, sodass Debbie bei ihm weiter die Rolle der Prinzessin spielen konnte.
Wenn Suzan ehrlich war, störte sie auch die Oberflächlichkeit der kleinen Schwester manchmal erheblich. Sie selbst grübelte ständig über den Sinn des Lebens nach und konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie ihre Mutter zu enden. Voller Groll und ohne jegliche Aufgabe im Leben. Und auch Debbies Träume von einem Traummann und einer Familie entsprachen so gar nicht ihren, Suzans, Wünschen.
Wie so oft überlegte Suzan, ob sie nicht lieber in Wellington studieren sollte, um Distanz zu ihrer Familie zu schaffen, aber diese Idee scheiterte letztendlich an dem Mitgefühl für ihre unglückliche Mutter. Nein, das konnte sie Barbra nicht antun. Noch nicht! Die pflegte nämlich stets voller Überzeugung zu sagen: Debbie wird den Fehler machen und eines Tages heiraten. Du aber wirst immer bei mir bleiben, denn du interessierst dich ja nicht für Männer.
Wenn Mom bloß wüsste, wie es wirklich in mir aussieht, dachte Suzan beklommen. Niemals würde sie mit ihrer Mutter länger als nötig unter einem Dach leben wollen. So wie ihre Großmutter Antonia etwa, die von Urgroßmutter Selma regelrecht im Haus festgehalten worden war und deshalb sogar auf Großvater James verzichtet hatte. Suzan schüttelte sich bei dem Gedanken. Nur noch das Studium, dann bin ich fort und führe mein eigenes Leben, dachte sie entschlossen. Und wer sagte überhaupt, dass sie ihr Leben lang auf Männer verzichten würde? Später einmal konnte sie sich eine Ehe durchaus vorstellen, aber wenn, dann musste er ein Forscher sein wie Großvater Arthur, und am besten gleich einer, der mit ihr zusammenarbeitete. Mom hat doch keine Ahnung, was mich bewegt, ging es ihr bedauernd durch den Kopf. Natürlich mag ich Männer, aber im Augenblick ist es mir wichtiger, die Ornithologische Gesellschaft wieder aufzubauen, als einen Ehemann zu finden. Ich bin achtzehn, ich habe noch alle Zeit dieser Welt.
Ihr Herz klopfte bei dem Gedanken, dass sie erst vor ein paar Tagen einen entscheidenden Schritt gewagt hatte, die Gesellschaft zu retten. Für den heutigen Abend hatte sie einen wissenschaftlichen Mitarbeiter der Universität von Otago zu sich eingeladen. Einen jungen Zoologen. Sie kannte ihn bislang gar nicht persönlich, nur seinen Namen. Es war eine Empfehlung ihrer Biologielehrerin, Miss Albee, deren Neffe er war. Miss Albee unterstützte ihre fleißige Schülerin bei ihren ehrgeizigen Plänen und glaubte fest daran, dass ihr eine vielversprechende Karriere als Vogelkundlerin bevorstand. Hoffentlich kann ich ihren Neffen auch wirklich für die alten Knochen begeistern, dachte Suzan bang, während sie die Stufen aus dem Keller emporeilte.
In der Diele traf sie auf ihre Mutter, die ihr sogleich mit vorwurfsvoller Miene vorhielt, dass sie wieder im Moa-Verlies gewesen sei. Suzan verkniff sich eine freche Bemerkung, sondern nickte nur.
»Ihr seid nie da, wenn ich euch brauche«, beklagte sich Barbra und rieb sich leidend die Schläfen. »Und ich habe wieder so entsetzliche Migräne.«
»Mom, das tut mir leid, aber heute treffe ich mich mit einem Zoologen, dem ich gern Großmutters Sammlung zeigen möchte ...«
»Mit einem Mann?«
Suzan rollte mit den Augen. »Ja, Mom, er ist männlich, aber ich kenne ihn nicht. Wahrscheinlich ist er hässlich wie die Nacht. Und außerdem soll er die Knochen der alten Moas beäugen und nicht mich.«
»Mach dich ruhig lustig über mich. Und kannst du mir bitte sagen, wo deine Schwester steckt?«
Suzan zuckte mit den Schultern und wollte sich hastig an ihrer Mutter vorbeidrücken.
»Halt, mein Fräulein. Dann wirst du eben die Besorgungen für mich erledigen. Kannst dich dann ja bei Debbie beschweren.«
»Mutter, ich möchte mich noch vorbereiten auf den heutigen Abend ...«
»Keine Widerrede. Hier ist der Zettel, und nun geh.«
Zähneknirschend nahm Suzan ihn entgegen und eilte an Barbra vorbei zur Treppe. So war es immer. Debbie trieb sich irgendwo herum, und sie musste sich dafür die Vorwürfe anhören.
Als sie am Zimmer ihrer Schwester vorbeikam, hörte sie leises Kichern. Sie blieb stehen und spürte, wie die Wut in ihr hochkochte. Debbie amüsierte sich, während sie deren Arbeit mitmachen sollte. Nein, das kam gar nicht in Frage. Sie wollte ihr ordentlich die Meinung sagen, doch
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