Das Geheimnis des letzten Moa: Neuseelandsaga (German Edition)
anderes, stellte sie überrascht fest, als sie ihm die Tür öffnete. Er musterte sie bewundernd von Kopf bis Fuß, und das unverkennbar mit den Augen eines Mannes und nicht mit denen eines Wohltäters.
»Ich habe geahnt, dass es Ihnen stehen würde, aber dass es wie für Sie gemacht ist, alle Achtung! Es hat mich einige Mühe gekostet, es der Schneiderin abzuschwatzen, die es für eine andere Kundin angefertigt hatte. Aber ich bin davon überzeugt, an Ihnen sieht es tausendfach bezaubernder aus.«
Selma spürte, wie sie rot anlief.
»Wollen wir in die Höhle des Löwen?«, fragte sie forsch, um von ihrer Verlegenheit abzulenken.
»Also, Sie wissen, was Sie zu tun haben? Seien Sie Sie selbst. Mama Maata durchschaut leider jedes Spiel sofort. Und denken Sie daran, sie mag keine wehleidigen, keine bequemen und keine unterwürfigen Frauen, aber davon haben Sie ohnehin rein gar nichts.«
Damon reichte ihr seinen Arm und schritt mit ihr demonstrativ die breite Treppe in das Untergeschoss hinunter. Selmas Blick blieb an den schweren Ölgemälden hängen, die die Wand entlang der Treppe zierten. Alle zeigten sie gediegene Herren in feinem Zwirn, die ernst dreinschauten.
»Wer sind diese Männer?«, fragte Selma ihn leise.
Damon grinste. »Das ist unsere Ahnengalerie. Großvater William, Großvater Allan, Großonkel Benjamin, und der Jüngere dort ist Mutters unlängst verstorbener älterer Bruder Jo. Ein hiesiger Maler hat sie von einer Daguerrotypie abgemalt.«
»Ich denke, Ihre Großväter waren allesamt arme Fischer?«, bemerkte Selma skeptisch.
Damon grinste immer noch. »Ja, deshalb wurden nur ihre Gesichter gemalt, und dort, wo sie ihre Fischerkluft trugen, sind sie nun in feinen Zwirn gehüllt. Schauen Sie doch nur, sie tragen alle denselben Anzug.«
Nun konnte sich auch Selma ihr Grinsen nicht länger verkneifen. »Und das ist noch keinem aufgefallen?«
Damon zuckte mit den Schultern. »Und wenn, dann würde keiner ein Wort darüber verlieren. In der besseren Gesellschaft hier ist man sehr diskret und redet nur hintenrum. Aber das wäre Mutter wahrscheinlich längst zu Ohren gekommen, denn sie gehört zu den Damen, die über alles und jeden Bescheid wissen und die beim Lästern vorneweg sind.«
»Sie reden nicht gerade schmeichelhaft von Ihrer Mutter«, rutschte es Selma heraus.
»Ich darf das. Schließlich bin ich auch nicht ihr erklärter Lieblingssohn.«
»Und wer ist das? Haben Sie Geschwister?«
»Charles, einen älteren Bruder«, erwiderte er knapp und fügte hastig hinzu: »Wir sind da. Hinter der Tür ist Mama Maatas Reich. Ich werde Sie jetzt ihrer Obhut übergeben.«
»Aber wollen Sie denn gar nicht mitkommen?«, fragte Selma erschrocken.
»Wollen schon, aber nicht dürfen. Mama Maata würde mich achtkantig hinauswerfen. Und dabei würde sie mich einen frechen Lausebengel schimpfen. Und ganz ehrlich, liebe Selma, das wäre mir vor Ihnen unendlich peinlich. Ich warte hier. Viel Glück!«
Selma holte tief Luft und klopfte zaghaft an die Tür.
Eine tiefe Frauenstimme bat sie, einzutreten. Selma staunte nicht schlecht, als sie sich in einer riesigen Küche wiederfand, in deren Mitte eine füllige dunkelhäutige Frau mit glattem pechschwarzen Haar hinter einem Tisch thronte wie ein Wesen aus einer anderen Welt.
»So, so. Du bist also die junge Engländerin, die Mister Damon mir unbedingt verkaufen will«, knurrte sie nicht gerade freundlich.
»Ja, ich bin Selma Parker aus Cornwall.«
Statt ihr einen Platz anzubieten, stand Mama Maata schnaufend auf und trat ganz dicht an Selma heran. Die schreckte sogleich zurück, denn eine so fremdartig aussehende Frau wie Mama Maata war ihr noch nie im Leben begegnet.
»Wohl noch nie mit einer Maori Bekanntschaft gemacht, Kindchen, was? Aber keine Sorge, wir beißen nicht.«
»Entschuldigen Sie, aber ich habe wirklich noch nie zuvor einen Menschen gesehen, der aussieht wie Sie. Ich meine, bei uns auf dem Dorf sahen sie alle gleich aus, bleich, blond, rothaarig, und ... ich bin doch nie fort gewesen. Und auf dem Schiff, da gab es vor allem schmutzige weiße Männer. Ja, und in Auckland war ich die ganze Zeit auf dem Zimmer, weil ich Angst hatte, mein Schwager würde mich finden.« Ohne Vorwarnung wurden Selmas Augen feucht.
»Nein, nein, nein, Kindchen! Ein heulendes Elend kann ich hier ganz und gar nicht gebrauchen«, schimpfte Mama Maata, aber ihr Blick blieb dabei weich.
Sie hat gütige Augen, dachte Selma. Schade, dass ich es schon mit ihr
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