Das Geheimnis des perfekten Tages (German Edition)

westfälischen Tiefseestachelrochens im Xantener Baggerloch?
    In der allseitigen Schwemme aus Empörung, Angst und Panik wird alles gleich. Die Nachrichten werden zu einem See aus Abstoßendem, den man besser weiträumig umfährt. Es wächst ein innerer Wunsch nach Flucht, gepaart mit einem formlosen Welthass, der Täter nicht mehr von Opfern unterscheidet. Dazu gesellt sich der Wille zurGleichgültigkeit. Es gibt Schlimmeres. Verbranntes Toastbrot! Gegenwind beim Radfahren. Verknotete Kabel. Oder Leute, die mit 27 durch die Tempo-30-Zone gondeln.
    08 34
Bei der Lektüre der Zeitung stellt sich die Welt als Unglück dar. Es gibt aber auch Tröstendes. Diese Kolumnen heißen „Neues aus der Wissenschaft“ oder so ähnlich. Dort erfährt man, dass es Menschen gibt, die an Erkenntnis und Problemlösung arbeiten. Sie entdecken dabei mittelschwere schwarze Löcher, die aus zerstörten Zwerggalaxien stammen; Ziegen, die beim Mähen ortsspezifische Dialekte aufweisen und Dinosaurierfossilien, deren rätselhafte Verkrümmung dadurch zu erklären ist, dass sie vor etwa 200 Millionen Jahren unter Wasser verwesten. Ich lese so etwas. Es interessiert mich. Dann bemerke ich, dass ich nicht mehr viel Zeit habe auf dieser Welt, je nach medizinischer Entwicklung vielleicht 50 oder 150 Jahre. Danach will auch ich zum Fossil werden. Ein Fossil hat immer auch etwas beispielhaftes, es spiegelt eine Ära! Ich will, dass mich in ein paar Millionen Jahren Kinder am Strand entdecken und sich fragen: „Sahen so die sagenhaften Menschen aus? War das einer ihrer Könige? Oder wenigstens ein Bundespräsident?“ Und ich werde still in meinen Stein hineinrufen: „Nein! Nicht ganz!“
    Dann werde ich ins Museum kommen, und wenn ich viel Glück habe, wird ein ganzes Erdzeitalter nach mir benannt oder wenigstens eine menschliche Epoche. Ich muss unbedingt mit einem Namensschild in meiner Jacke versteinern! Es wird spannend sein, irgendwann einmal unsere Zeit mit Namen zu versehen. Der Mensch erscheint im Holozän. Wann kommt sein Nachfolger? Der Brünkel. Wieso Brünkel? Nun, irgendwie wird er heißen müssen. Und meistens werden biologische Arten nach ihrem Entdecker benannt. Ich aber bin selbstlos und verzichte auf diese Ehre. Und nenne ihn Brünkel! Brünkel, der Nachmensch! Ich habe ihn ja auch nicht entdeckt, ich sage ihn voraus. Die Brünkelzeit wird kommen!
    Wir hatten Steinzeit, Eisenzeit, Bronzezeit. Nun leben wir mit Plexiglas, Laminat und PET-Flaschen. Wir entwickelten uns vom Schellack über das Vinyl zur Polycarbonatscheibe. Bald wird es nur noch Flashspeicher geben, und die Musik kommt aus der Cloud, der Wolke, exakt so, wie man es sich im Mittelalter vorstellte, als man dachte, in den Wolken harfinieren die Cherubim.
    All das ist ein Segen, wenn man die Funktion des Ganzen nicht überschätzt und glaubt, man müsse nun nicht mehr selber leben und denken. Oft sind die Menschen beleidigt, wenn der Computer das Gehirn nicht vollständig ersetzt. Sie beschimpfen ihren Rechner, wenn er nicht von allein weiß, was er ändern muss. Natürlich hat der Idiot vor dem Bildschirm wieder nichts markiert. Der Computer hätte also wissen müssen, was er denkt. Warum kann er das nicht? Das Gerät sollte doch seinem User überlegen sein! Oft ist er das, er will es sich aber nicht anmerken lassen. Der Computer wird irgendwann selbst erkennen, was der Idiot vergessen hat zu markieren. Er wird sich in den Trottel hineinversetzen und seine Softwarefehler korrigieren. Die Idioten werden aber weiter Idioten sein. Das ist ein Trost.
    08 38
Jeden Tag lese ich mein Horoskop. Wer den Wirtschaftsinstituten glaubt, sollte auch schwarzhaarige Großmütter mit Hexenhut und Warze auf der Nase als Prognostiker akzeptieren. Ihre Vorhersagen haben denselben Wert: Sie sind null und nichtig, aber interessant, im besten Falle lustig.
    Mein Horoskop hält überraschende Neuigkeiten für mich bereit: „Sie werden eine Nachricht erhalten, die ihr Leben verändern wird.“ Das ist beunruhigend. Ich will mein Leben gar nicht verändern! Im Gegenteil! Heute erwarte ich die Nachricht meines Arztes wegen des PSA-Testes. Der soll mir Auskunft geben, in welchem Zustand sich meine Prostata befindet. Werde ich inkontinent und impotent meinem Lebensende entgegendümpeln oder bin ich frisch und gesund wie der junge Morgen vor der Zeitungslektüre? Da ich mich momentan prostatatechnisch gut ausgerüstet fühle, wäre eine Änderung des Istzustandes mit Sicherheit keine gute