Das Geheimnis des Scriptors
sie unbeirrt weiter und brachte Rhodope die Essschale.
»Jemand hat mich geschubst. Ich hole dir noch Wein …«
»Ich komme mit dir!« Rhodope hatte gesehen, was passiert war. Mit plötzlicher Solidarität erhob sie sich. Die kleine Königin des Festes war nun rot vor Verlegenheit und verwandelte sich in eine gute Gastgeberin.
Ich war bereits dabei, den Mann zurechtzuweisen, mit strengen Ratschlägen, die er nicht hören wollte. »Wir wollen doch das Fest nicht verderben. Besser, du verschwindest …«
»Warte, Falco!« Rhodopes Stimme erhob sich über das Jaulen der gemieteten Klageweiber. Etwas hatte Rhodope verstört. Sie packte eine der Anzündfackeln des Scheiterhaufens und schwang sie über dem Kopf. Es war helllichter Tag, ein herrlicher Augusttag, zusätzliches Licht wäre nicht nötig gewesen.
Albia, beeindruckt von dem theatralischen Gehabe, richtete sich neben ihr zu voller Höhe auf. Rhodope streckte ihren weißbekleideten Arm dramatisch aus. »Frag diesen Mann, woher er seine Stiefel hat!«
Der Mann versuchte sich zu verdrücken. Ich packte ihn am Arm. Er war ein blässlicher, unrasierter Wicht mit Augen, die wie aus eigenem Antrieb verrutschten, wenn man ihn ansah. Er trug eine lockere graue Tunika und einen recht guten schwarzen Gürtel, vermutlich gestohlen. Die Stiefel, auf die Rhodope deutete, waren aus weichem beigem Kalbsleder mit roten, über dem Schienbein gekreuzten Riemen. Sie hatten Bronzehaken und winzige bronzene Knebel am Ende der Riemen. Ich hätte mich nicht mal tot in den Dingern sehen lassen, aber für das gramerfüllte Mädchen hatte das famose Schuhwerk sichtlich eine besondere Bedeutung.
Damit begann der Zoff.
Rhodope war zu angeschlagen, um ihren ursprünglichen Zorn aufrechtzuerhalten, aber zu Dramatik war sie nach wie vor fähig. »Ich kenne diese Stiefel«, flüsterte sie entsetzt. »Ich habe sie für Theopompus gekauft. Er trug sie, als er verschleppt wurde, in der Nacht, als man ihn mir entriss. Wer auch immer ihn getötet hat, muss diese Stiefel gestohlen haben …« Sie beschloss, in Ohnmacht zu fallen. Albia ließ ihr das nicht durchgehen und zog sie wieder hoch. »Er ist ein Mörder!«, kreischte Albia. »Lasst ihn nicht entkommen.«
Mir war bewusst, dass uns eine große Menschenmenge umgab, darunter viele, die mit diesem Mann verwandt sein mochten. Langsam erhoben sich die Leute, und Gemurmel setzte ein.
Petronius Longus tauchte an meiner Seite auf. Nun mussten sie sich mit zwei von uns anlegen. Bisher hielten sie sich zurück. Petro war größer als alle anderen Anwesenden. Er war viel größer als der Mann in den umstrittenen Stiefeln, dem er jetzt einen Arm auf den Rücken drehte und ihn dann am Kragen der Tunika hochhob, so dass seine Zehen herabbaumelten. »Zieh ihm doch mal die Stiefel aus, Falco.«
Ich machte mich ans Werk. Das bedeutete, heftigen Tritten auszuweichen, bis Petro sehr wirksam dafür sorgte, dass sein Gefangener zu zappeln aufhörte. Das war unterhaltsam für die Menge, die sah, dass wir durchaus gewalttätig sein konnten, und das Ganze allmählich genoss. Der Mann, der die hübschen Stiefel mit den Bronzeknebeln getragen hatte, wurde käseweiß und zitterte. Petronius ließ ihn spielerisch baumeln.
Helena trat vor, nahm die Stiefel und trug sie zu Rhodope. »Bist du dir ganz sicher, dass dies die Stiefel sind, die du für Theopompus gekauft hast?«
Als Mittelpunkt der Aufmerksamkeit lebte Rhodope auf. »Ja!« Wieder versuchte sie theatralisch in Ohnmacht zu fallen, aber auch diesmal zerrte Albia sie hoch und schüttelte sie heftig, wie Nux es mit den Stoffpuppen der Kinder tat. Albia hatte eine nüchterne Einstellung zu Erster Hilfe. Zusammensacken oder Wimmern war nicht erlaubt.
Petronius warnte den Gefangenen, ihm keinen Ärger zu machen, sonst ende er als Asche auf dem Scheiterhaufen. Inzwischen waren Mitglieder der Vigiles auf das Problem aufmerksam geworden und schoben sich zwischen den Trauergästen zu uns hindurch. Petronius wandte sich an die Gruppen der versammelten Seeleute. Er stieß den Gefangenen erst in die eine, dann in die andere Richtung und brüllte barsch: »Wer von euch hat diesen Stiefeldieb nach Italien gebracht? Wem gehört er?«
Cratidas, umgeben von grinsenden Kilikiern, lachte laut. Petro zielte mit dem Gefangenen auf ihn. Cratidas antwortete mit seinem üblichen höhnischen Grinsen: »Uns nicht.« Lygon, der in seinem extravaganten Mantel neben ihm stand, schüttelte ebenfalls rasch den Kopf. Dann
Weitere Kostenlose Bücher