Das Geheimnis des Scriptors
in jeder Bucht, wo das Fischen nicht genug Geld einbringt.
»Was ist mit den Illyriern, Virtus?«
»Wir heben eine Reihe von Notizbüchern auf, die an jeden neuen Offizier beim Kohortenwechsel übergeben werden. Frag mich nicht, was drinsteht.«
»Du weißt es nicht?«
»Das ist streng geheim, Falco.« Keine direkte Antwort auf meine Frage. Dieser Vigiles-Schreiber verfiel wieder auf die Tricks der Bürokratie. »Ich dachte immer, das Thema wäre gestorben. Nur weil es unter Geheimhaltung fällt, bedeutet es nicht, dass der Fall noch lebt …« Er schwadronierte.
»Fall oder Fälle?«
»Weiß ich nicht. Es gibt noch einen weiteren Satz von Berichten, über Florius …« Florius war der Gangster, den Petronius als sein Spezialobjekt verfolgte.
»Florius ist irrelevant. Du willst mir also sagen, dass sich ein weiterer Haufen geheimer Notizen auf jemanden von illyrischer Herkunft bezieht. Gibt es für diesen Fall einen speziellen Marinekontakt? Ich hatte den Eindruck, dass sich Caninus nur mit Kilikien beschäftigt.«
»Nein, es ist derselbe. Caninus.«
»Bist du dir da sicher, Virtus?«
»Jedes Mal, wenn eine neue Abordnung eintrifft, nimmt Caninus Kontakt mit ihrem Offizier auf. Brunnus musste zum Beispiel gesagt werden, dass er Caninus besondere Achtung zu erweisen habe.«
»Wer hat Brunnus das gesagt?«
»Ich. Es ist meine Aufgabe, die Offiziere über heikle Fälle zu informieren.«
»Und wer hat dir gesagt, Caninus sei heikel?«
»Er.«
»Caninus instruiert dich, jedem neuen Offizier zu sagen: ›Ich bin ein wichtiger geheimer Kontakt‹? Aber du weißt nicht, über welche geheimen Fälle du sie informierst?«
Virtus lachte. »Na und? Ich bin ein Schreiber. Das mache ich dauernd.«
Mir entging das Komische daran. »Wie kann ich Einblick in die illyrischen Berichte nehmen?«
»Unmöglich, Falco.«
»Würde mehr Geld helfen?«
»Immer noch unmöglich«, erwiderte Virtus – mit Bedauern. »Brunnus hat letzte Nacht mit den illyrischen Berichten unter dem Kopfkissen geschlafen. Frag mich nicht, warum er plötzlich so daran interessiert ist.« Ich vermutete, unser Gelage mit Caninus hatte seine Neugier geweckt. »Heute hat er die Tafeln in seinem Ranzen mitgenommen. Ich nehme an, er jagt alten Fällen nach … Gibt’s Probleme, Falco?«, fragte Virtus unschuldig.
»Kommt nur ein wenig ungelegen.«
»Wenn du nicht möchtest, dass Brunnus von deinem Interesse erfährt …«
»Ja?«
»Willst du nicht wissen, was ich anzubieten habe?«
»Wenn du mich beschwindelst, wirst du es bedauern. Aber was Geld angeht, da habe ich meine Grenzen erreicht. Also spuck’s schon aus.«
Virtus hatte Einwände. Ich wurde grob. Er gab nach.
Kein Offizier schrieb die Fallberichte selbst, wie geheim sie auch waren. Wenn ein Amtsschreiber einen streng geheimen Bericht vorbereitete, der eine lange Laufzeit haben würde – das heißt, Notizen, die irgendwann anderen Kohorten übergeben werden sollten –, würde der Offizier wünschen, dass sie ordentlich aussahen. Daher würde der Schreiber einen Rohentwurf machen und ihn dann sauber abschreiben.
Wenn der Offizier nicht äußerst gründlich war und verlangte, dass der Entwurf vernichtet wurde, bewahrte der Schreiber, sofern es ein spannender Fall war, seinen Rohentwurf natürlich auf.
»Wenn du mir sympathisch genug wärst«, sagte Virtus, »könnte ich dir meine Entwürfe zeigen.«
Was für ein Drecksack. Er hatte die ganze Zeit gewusst, dass er mir geben konnte, was ich haben wollte.
Eine Stunde später drückte ich glücklich und zufrieden meine eigene Notiztafel an mich. Ich hatte mehrere Namen von Beschwerdeführern abgeschrieben, einige mit ihren damaligen Adressen in Ostia, obwohl sie inzwischen vermutlich umgezogen waren. Ich hatte die Daten der Entführungen. Zwei waren während der Einsatzzeit der Sechsten passiert, aber es hatte auch davor schon welche gegeben.
Es sah aus, als würde nur jeweils ein Gefangener festgehalten. Das mochte dazu dienen, das Risiko zu vermindern, oder es stand bloß ein einziges sicheres Haus zur Verfügung. Bei allen Anzeigen waren ausschließlich Frauen entführt worden. Nach der Rückkehr zu ihren Ehemännern hatte keine gewusst, wo man sie gefangen gehalten hatte, und sie wirkten sehr verwirrt. In den meisten Fällen hatten die Ehemänner sofort gezahlt. Sie führten alle große Geldmengen für Geschäftszwecke mit sich. Manchmal waren die Frauen unmittelbar nach dem Verkauf einer großen Ladung entführt worden,
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