Das Geheimnis des Scriptors
nicht in Kilikien.«
»Und wer macht dann die Entführungen?«, höhnte Papa, während der andere Mann dazu schwieg.
Diesmal grinste ich. »Ex-Piraten.«
Papas Begleiter ließ sich schließlich doch hineinziehen. »Was nur zu erwarten war.« Er sprach in einem trockenen, bedrückten Ton, der mit meiner eigenen Einstellung mehr übereinstimmte, als ich erwartet hatte. Nachdem er diese Aussage von sich gegeben hatte, hielt er inne. Er schien es zu genießen, seine Zuhörer auf die Folter zu spannen.
»Wieso das?«, gab ich ihm das Stichwort. Ich blieb immer noch höflich, doch etwas an ihm ging mir allmählich auf die Nerven. Er machte den Eindruck, als würde er sich gern kontrovers verhalten.
»Sie hatten eine Lebensweise«, sagte er. »Manche nannten es Piraterie. Ihnen erschien diese Handlungsart ganz natürlich. Da ihnen das alles genommen wurde, blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich eine neue Beschäftigung zu suchen. Von irgendwas müssen die Leute ja leben.«
»Sie klingen, als täten sie Ihnen leid.«
»Ich verstehe ihre Situation.« Er wirkte gleichgültig, fügte aber hinzu: »Hier war es dasselbe mit den enteigneten Bauern. Das führte zu totalem Elend.«
Ich konnte mich erinnern, wie mein Großvater, der aus Kampanien, über die alten »Landreformen« geklagt hatte, die Bauern von ihrem Pachtland vertrieben, das sie seit Jahrzehnten bewirtschaftet hatten. Großvater behielt seinen Hof, aber wir glaubten alle, dass ihm das nur gelungen war, weil er jemand anderen übers Ohr gehauen hatte. Seine sämtlichen Nachbarn glaubten das auch. »Sie betrachten die kilikischen Piraten also als unglückliche Vertriebene?«
»Wie geschaffen für ein Verbrecherleben«, höhnte Papa. Er hasste fast alle Menschen anderer Nationalität. Er würde behaupten, das läge daran, dass er Geschäfte mit ihnen gemacht und dabei erfahren hatte, wie sie waren.
»Wie geschaffen dafür, dass man ihnen sowieso an allem die Schuld zuschiebt«, sagte sein Freund. »Und was haben kilikische Piraten nun mit deinem vermissten Scriptor zu tun, junger Marcus?«
Wieder versuchte ich seine übertriebene Vertraulichkeit zu ignorieren. »Diocles könnte Memoiren für einen von ihnen geschrieben haben, doch ich habe das Gefühl, dass er in Wirklichkeit an dieser Entführerbande interessiert war. Theopompus und Posidonius’ närrische Tochter könnten es noch zu einer Erwähnung im Tagesanzeiger bringen.«
»Wir werden nicht die Einzigen sein, die hinter Theopompus her sind«, knurrte Papa. »Seine Kameraden werden ihm nicht für die öffentliche Aufmerksamkeit danken.«
»Du hast die Entführungen mit den Kilikiern in Zusammenhang gebracht?«, fragte mich der andere Mann.
»Sie haben mir unabsichtlich dazu verholfen, zwei aus ihrer Gruppe zu identifizieren.«
»Könnte gefährlich für dich sein.«
»Wenn mein Scriptor wieder auftaucht, bin ich hier weg. Den Entführern sind die Marine und die Vigiles auf den Fersen. Es kann nicht mehr lange dauern, bis es zum endgültigen Kräftemessen kommt.«
»Dann adieu, Kilikier! Wenn die Marine und die Vigiles ihnen auf den Pelz rücken, könnten sie deinen Scriptor finden. Du könntest dein Honorar verlieren.« Vielen Dank für diese Freundlichkeit. »Ich muss gehen, Favonius …«
Der Mann schlüpfte davon, bevor wir seinen höflichen Abgang richtig mitbekamen. Er hinterließ einen Hauch von Rasierwasser und, für mich, das leise Gefühl, betrogen worden zu sein.
Niemand im Emporium nannte meinen Vater Favonius. Er war Geminus, sein vor langem angenommenes Kognomen. Geminus für alle. Nun ja, für alle bis auf Mama, in einer ihrer rachsüchtigen Stimmungen. Sie bestand darauf, den Namen zu verwenden, den er hatte, bevor er von uns abgehauen war.
»Weißt du, wer das war?« Papa bedeutete dem Kellner, unsere Becher aufzufüllen. Er hatte bereits Geld auf den Marmortresen gelegt, und so saß ich in der Falle.
Ich schüttelte den Kopf. »Sollte ich?«
»Allerdings, mein Junge! Dieser seltsame Geselle ist dein Onkel Fulvius.«
Ich glotzte Papa an. Er nickte. Plötzlich grinste ich zurück. Jetzt konnte ich es erkennen – wenn Fulvius auch an Alter, Gewicht und Aufsässigkeit zugelegt hatte. »Noch genauso einsilbig, wie ich ihn in Erinnerung habe. Kaum zu verstehen, was das ganze Theater sollte«, bemerkte ich, obwohl die Art meines Onkels, Menschen vorsätzlich zu verärgern, vieles von seinem Ruf erklärte.
Papa und ich betrachteten uns als Mitglieder des soliden
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