Das Geheimnis des Templers - Episode VI: Mitten ins Herz (German Edition)
schaute zu Gero auf und nickte zustimmend.
Henri d’Our machte ein erstauntes Gesicht. »Ihr wärt ein guter Vater geworden, wenn Gott Euch nicht zu den Templern geführt hätte«, sagte er, ohne zu wissen, welchen Schmerz er Gero mit dieser harmlosen Bemerkung zufügte. »Beinahe schade, dass Ihr Euch für den Orden und damit gegen Frau und Kinder entschieden habt.«
»Solange ich im Orden auch ein Lehrmeister sein kann, geht ja nichts von meinen Talenten verloren«, bekannte Gero geduldig.
»Wie geht es Bruder Johan?«, fragte d’Our unvermittelt, bevor er Gero und den Jungen entließ.
»Schon besser«, antwortete Gero. »Der Eremit hat ganze Arbeit geleistet. Johans Antlitz wird nie mehr so sein, wie es vorher war, aber er wird überleben, und das ist die Hauptsache.«
»Ja«, fügte d’Our bestätigend hinzu. »Als Ordensritter muss er mit seinem Aussehen wenigstens keiner Frau imponieren, insofern hat er Glück, einer der unseren zu sein.«
Gero war nicht sicher, ob Johan das genauso sehen würde. Als er wenig später in die unglücklichen Augen des flandrischen Bruders blickte, der unglücklicherweise nach einem Spiegel verlangt hatte, wurde ihm klar, dass ihn die Worte des Komturs wohl kaum trösten würden.
»Wer ist das denn?«, fragte er schwach, als Gero seinen jungen Begleiter zum Lager des flandrischen Bruders führte. Matthäus war anzusehen, dass ihm der Anblick des Kopfverbandes, der Johans komplettes Gesicht bis auf Augen und Lippen bedeckte, ein wenig Unbehagen bereitete. Zumal auch die Lippen durch kirschrote Schwellungen und aufgeplatzte Stellen gekennzeichnet waren.
»Matthäus von Bruch, mein neuer Knappe. Auch Mattes genannt. Er ist d’Ours Neffe und ab heute ein wertvoller Gehilfe des Ordens.« Gero klopfte dem Jungen anerkennend auf die Schultern und lächelte ihn an.
»Tut das weh?«, fragte Matthäus, der unbeeindruckt von Geros Ankündigung weiterhin Johans Gesicht mit argwöhnischen Blicken fixierte und dabei die Stirn in Falten legte.
»Ja, es tut weh«, flüsterte Johan. »Verdammt weh.«
»Du könntest Johan etwas vorlesen, um seine Schmerzen zu lindern.« Gero zwinkerte Johan zu, was Matthäus nicht sah. »Du kannst doch lesen, oder?«
»Natürlich kann ich lesen, Herr. Ich war von meinem siebten Lebensjahr an in der Klosterschule. Dort habe ich neben dem Lesen auch das Schreiben und Rechnen erlernt. Außerdem spreche ich Deutsch, Franzisch und ein wenig Latein.«
»Oho!«, entfuhr es Gero. »Dann bist du ja genau richtig hier. Damit erteile ich dir den Auftrag, Bruder Johan ab sofort die Langeweile zu vertreiben, damit er von seinen Leiden abgelenkt wird. Mindestens eine Stunde pro Tag, jeweils vor der Messe, liest du ihm etwas vor.«
»Zu Befehl, Seigneur!« Matthäus nahm Haltung an.
Johan verdrehte die Augen. Lächeln konnte er nicht.
»Dank dir, Mattes«, sagte er heiser, »das ist sehr großzügig von dir. Ich freu mich schon darauf.«
Kapitel VIII
M atthäus lebte sich rasch ein, und Johan kam langsam wieder zu Kräften. Gero konnte förmlich dabei zuschauen, wie seine Wunden verschorften und schließlich von einer dünnen, rot schimmernden Hautschicht überwuchert wurden, was, wenn der Eremit recht behielt, eine unkomplizierte Heilung versprach. Bereits im Sommer des Jahres 1306 konnte Johan wieder an den Kampfübungen teilnehmen und seine Kameraden auf den Geleitzügen zum Schutz von Geldtransporten und hohen Würdenträgern quer durch Franzien begleiten. Wenn man von gelegentlichen Scharmützeln mit Räuberbanden und glücklosen Attentätern einmal absah, eigentlich ein friedfertiges, ja wenn nicht langweiliges Dasein, wie Gero befand.
Doch schon im Frühjahr 1307 kündigte sich weiteres Ungemach in den ehrwürdigen Mauern der Templerkomturei von Bar-sur-Aube an, auch wenn es sich auf den ersten Blick nicht als solches zu erkennen gab.
»Verdammt, der Kerl gefällt mir nicht«, raunte Johan van Elk, der inzwischen wieder vollkommen genesen war, seinen nächsten Kameraden zu.
Anfang April hatte Henri d’Our alle anwesenden Ritterbrüder gleich nach der Nachmittagsandacht ins Refektorium berufen, um ihnen einen neuen englischen Kameraden vorzustellen. Guy de Gislingham machte von Beginn an einen hochnäsigen Eindruck, was auch Gero gerne bestätigen wollte. Nicht dass er ein besonders hochherrschaftliches Äußeres besaß. Man hätte ihn leicht als nichtssagenden Tollpatsch bezeichnen können. Er war weder groß noch klein, weder dick noch dünn.
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