Das Geheimnis des Templers - Episode VI: Mitten ins Herz (German Edition)
des Angriffes befanden wir uns auf einem Erkundungsgang rund um die Insel. Im Nebel haben wir die Schiffe der Feinde gesehen, wie sie aus der morgendlichen Dämmerung auftauchten und die Insel umkreisten wie Haifische ihre Beute. Wir haben alles versucht, um sie abzuwehren, aber dann ist es ihnen doch gelungen, den Hafen zu erstürmen, und unser Kommandeur-Leutnant hat befohlen, die Festungstore zu schließen, noch bevor alle Templer dorthin zurückgelangen konnten.«
»Das heißt, man hat euch einfach ausgesperrt? Gab es keine Möglichkeit, trotzdem hineinzugelangen?«
»Es wäre Selbstmord gewesen, bis zu den Festungsmauern vorzudringen – überall wimmelte es von Heiden. Wir haben uns in einer unterirdischen Katakombe verschanzt, die den Heiden offenbar nicht bekannt war. In der Dämmerung sind wir heimlich auf die Dächer der umliegenden Häuser geklettert, weil wir wissen wollten, was während unserer Abwesenheit in der Ordensburg unternommen wurde, um die Heiden zu bekämpfen. Dort mussten wir erfahren, dass die Festung längst gefallen war, und mit unseren eigenen Augen sehen, was die ägyptischen Schweine mit unseren bedauernswerten syrischen Bogenschützen anstellten. Hundertfünfzig Männer christlichen Glaubens, die als Söldner zur Verteidigung der Insel vom Orden eingekauft worden waren. Die Mameluken haben sie zum ›Dank‹ für ihre Abtrünnigkeit noch an Ort und Stelle zum Tode verurteilt.« Ihm versagte die Stimme, und sie streichelte tröstend über seine Hand.
»Du musst nicht weitererzählen, wenn es dir zu schwerfällt, ich habe genug gehört«, sagte sie leise und war nicht sicher, ob sie überhaupt wissen wollte, was anschließend geschehen war.
Als wäre ihm ihr Einwand entgangen, fuhr er fort: »Im Vorhof der Festung standen die Henker im Blut der Syrer und ließen im Rhythmus eines Herzschlages deren Köpfe rollen. Nie zuvor hatten meine Augen etwas Schrecklicheres gesehen. Meine Brüder und ich haben verzweifelt versucht wegzuschauen, aber wir waren nicht fähig dazu. Glaub mir – es war, als ob der Teufel persönlich unsere Blicke gefesselt hätte, um uns einen Einblick in die Hölle zu präsentieren.«
Er schluckte schwer, und ein leiser Seufzer entfuhr ihm.
Sie hatte seine Hand gesucht und auch gefunden. Er gestattete ihren Fingern, sich mit den seinen zu verschränken, und drückte sanft zu.
»Wie kam es, dass sie dich und die anderen nicht erwischt haben?«
Er lächelte freudlos und blickte nach oben zum Dach, wo man durch die fehlenden Schindeln den azurblauen Himmel sehen konnte.
»Ich habe gebetet … unentwegt. Ich bin überzeugt davon, ich habe es der Heiligen Jungfrau Maria zu verdanken, dass ich mit den anderen entkommen konnte und noch dazu unverwundet geblieben bin.«
Er atmete kraftvoll durch, und seine Miene änderte sich wie das Wetter im April, wenn nach einem Regenschauer plötzlich die Sonne hinter den Wolken hervorbricht.
Seine Zähne blitzten auf und seine Augen funkelten, als er sie strahlend anlächelte.
»Und nun zu dir.«
»Alles, was du wissen willst!« Sie lächelte selig. Sein augenscheinliches Interesse an ihr umhüllte sie wie ein warmer Sommerwind.
»Haben deine Eltern eine Ahnung davon, dass du dich mit einem geheimnisvollen und unberechenbaren Templer in einer alten, verlassenen Schäferhütte triffst?« Er grinste übermütig und sah sie auffordernd an. Sein Ton erinnerte sie an ihren Schulmeister, als er sie einmal dabei erwischt hatte, wie sie den Vormittag lieber mit einer Freundin auf einer blühenden Sommerwiese verbracht hatte, statt am Unterricht in der Dorfschule teilzunehmen.
Mit gespielter Entrüstung erwiderte sie seinen fragenden Blick. »Wo denkst du hin? Mein Vater würde jeden Burschen entmannen, der sich mir ohne seine Erlaubnis auch nur auf fünfzehn Fuß nähert.«
Seine Mundwinkel zuckten amüsiert. Augenscheinlich versuchte er, sich ihren Vater vorzustellen – einen grauhaarigen Kerl, klein und gedrungen, mit einem Bauch wie ein Weinfass –, wie er hinter einem unerwünschten Freier seiner Tochter herrannte, um diesen mit einer gezogenen Damaszener Klinge in einen Eunuchen zu verwandeln.
»Er macht auch vor Templern nicht halt!«, drohte sie lachend.
»Ich hoffe, er ist nicht schon auf dem Weg hierher!« Er hob seine Brauen und machte ein Gesicht, als ob er sich bereits fürchtete. Doch dann lachte er.
»Nein«, lenkte sie mit einem Schmunzeln ein. »Er ist weit genug weg. Auf einer Messe in Troyes – vor
Weitere Kostenlose Bücher