Das Geheimnis des Templers - Episode VI: Mitten ins Herz (German Edition)
plagten. Einzig der Gedanke, dass es nicht mehr lange dauern konnte,
bis er den harten Sattel gegen eine weiche Matratze eintauschen durfte, verschaffte ihm eine vorübergehende Linderung.
Er und seine Kameraden waren noch vor der Frühmesse aufgebrochen, um eine streng geheime Botschaft ins zwei Meilen entfernte
Thors zu überbringen. Eigentlich hatten sie gegen Mittag zurück sein wollen, aber ihr Reiseweg hatte sich unvorhergesehen
verzögert. Der Oberbefehlshaber der Baylie von Thors, wie das Hauptquartier der umliegenden Templerniederlassungen im gleichnamigen
Ort genannt wurde, hatte die Brüder von Bar-sur-Aube dazu aufgefordert, noch vor ihrer Heimkehr jede einzelne der benachbarten
fünf Komtureien aufzusuchen, um weitere, gesiegelte Pergamente zu überbringen, deren Auslieferung keinen Aufschub duldete.
Ein helles Auflachen riss Gero aus seinen Gedanken. Nicht weit von der Straße entfernt sammelten drei Wäscherinnen schwatzend
und kichernd die weißen Leinenlaken ein, die sie am Morgen in den Auen der Dhuys zum Bleichen ausgelegt hatten. Die blonden
Haare der Mädchen flatterten mit den dünnen Kleidchen in einer aufkommenden Böe um die Wette.
Während die Mönchskrieger an ihnen vorbei ritten, war eine jede versucht, die Aufmerksamkeit von wenigstens einem der jungen
Männer zu erhaschen. Entgegen aller Disziplin ließ sich Gero zu einem verhaltenen Schmunzeln hinreißen, als er die Absicht
der Frauen erkannte. Der spanische Bannerträger, der dicht neben ihm ritt, grinste breit, und für einen Moment waren seine
schneeweißen Zähne zu sehen. Einer der nachfolgenden Ritterbrüder stieß einen anerkennenden Pfiff aus, den die jungen Frauen
mit einem hinreißenden Lächeln belohnten.
»Er hat mich angeschaut«, rief eines der Mädchen und presste selig die Hände vor die Brust.
»Ich sagte es doch«, ließ eine zweite mit entzückter Miene verlauten, »der Kerl, der die Truppe führt, hat Augen so blau wie
der Himmel.«
»Der mit den braunen Locken wäre mir lieber…« hallte es den Reitern hinterher.
Gelächter brandete auf. Es kam nicht von den Frauen, sondern von den nachfolgenden Kameraden.
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Vielleicht hatte Vater Augustinus, der ordenseigene Kaplan doch Recht
, dachte Gero und sah im Geiste den verhärmten Geistlichen vor sich, wie er in der sonntäglichen Kapitelversammlung an die
Moral der Ordensritter appellierte:
»Wir halten dafür«
, zitierte der Vater stets mit sauertöpfischer Miene,
»dass es einem jeden Ordensmann gefährlich ist, das Angesicht einer Frau zu sehr zu betrachten, und daher nehme sich keiner
von den Brüdern heraus, eine Witwe, eine Jungfrau, seine Mutter, seine Schwester, seine Tante oder irgendeine andere Frau
zu küssen. Die Ritterschaft Christi soll also Frauenküsse fliehen, durch welche die Männer öfters in Gefahr zu kommen pflegen,
damit sie mit reinem Gewissen und in sicherem Leben allezeit im Angesicht Gottes zu verbleiben imstande sind.«
Der Spott, den manche Kameraden verlauten ließen, sobald Augustinus sich außer Reichweite befand, hallte ebenso in Geros Gedanken
wider.
Wer sagt denn, dass man die Frauen küssen muss, bevor man sich mit ihnen vergnügt … und ins Gesicht schauen muss man ihnen
dabei auch nicht unbedingt.
Gewöhnlich folgte grölendes Gelächter, und Gero konnte nur ahnen, wie viel persönlich Erlebtes daraus sprach.
Francesco de Salazar, Geros Nebenmann, schnalzte mit der Zunge und grinste ihn an, als ob er seine Gedanken erraten hätte.
Einen Augenblick lang schloss Gero die Lider. Vielleicht weil ihn das tief stehende Licht der Nachmittagssonne blendete, vielleicht
aber auch, um sein Gewissen zu reinigen. Als er sie wieder öffnete, blies der Wachhabende auf dem Turm der Komturei einmal
kurz und einmal lang in ein Horn. Den Sergeanten unten im Hof war dies ein Zeichen, sogleich die schweren Eichentore zu öffnen.
Fließend tauchte der Trupp in den langen, kühlen Schatten der hohen Festungsmauern ein. Die Hufeisen der schweren Schlachtrösser
donnerten über die quadratischen Pflastersteine, bevor das Geräusch schließlich verebbte, als die Reiter vor den Stallungen
endgültig zum Stillstand kamen.
»Absitzen!«, befahl Gero lautstark, und fast synchron schwangen sich die überwiegend großen und breitschultrigen Männer aus
ihren Sätteln.
Auf dem Hof herrschte reges Treiben. Zwischen umhereilenden Knechten und Mägden strömte eine Schar junger Bewunderer herbei. |20|
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