Das Geheimnis des Templers - Episode VI: Mitten ins Herz (German Edition)
etwas nicht in Ordnung sein konnte. Und er sprach deutsch. Etwas, das Gero in den drei Jahren, die er der Komturei angehörte
nur einmal erlebt hatte – |22| anlässlich des Besuches seines Vaters, Richard von Breydenbach, der mit d’Our 1291 zusammen in Akko, im Heiligen Land, gekämpft
hatte.
Zügig erbrach Henri d’Our, der dem Herzogtum Lothringen entstammte, das Siegel und überflog den Inhalt.
»Setzt Euch«, sagte er zwischen zwei Zeilen. »Unsere Unterredung wird etwas Zeit in Anspruch nehmen.«
Nachdem Gero sich niedergelassen hatte, ließ er seinen Blick durchs Zimmer schweifen. Auf einem Wandregal stand ein aufwendig
verzierter Sarazenendolch, in einer Art Halterung befestigt, die es ermöglichte, das mit Juwelen geschmückte Geschenk eines
sarazenischen Emirs von allen Seiten zu betrachten. Darüber hing, auf einem Holzbrett aufgezogen, eine aus Ziegenleder gefertigte,
handgemalte Karte des östlichen mittelländischen Meeres. Zwei orientalische Teppiche, die den Steinboden bedeckten, waren
neben den anderen Gegenständen die einzigen Luxusgüter, die sich der Komtur von Bar-sur-Aube aus seiner Dienstzeit im Outremer
– den verlorenen Templerbesitzungen im Heiligen Land – zurückbehalten hatte.
D’Our ging zum Kamin und legte das Pergament sorgsam ins Feuer.
Gero fragte sich verwundert, was da vor sich ging. Papier und Pergament waren teuer, und in der Komturei wurde größter Wert
auf kontinuierliche und saubere Aufzeichnungen gelegt, die man auf Jahre hinaus archivierte, und er konnte sich mit bestem
Willen nicht erinnern, dass je etwas davon vernichtet worden wäre.
Ungeachtet der überraschten Miene seines Untergebenen stellte d’Our eine Karaffe mit Rotwein und zwei Becher auf den Tisch,
bevor er sich ebenfalls setzte.
»Möchtet Ihr einen Schluck?« Ohne eine Antwort abzuwarten, goss d’Our den schweren, roten Rebsaft in zwei kunstvoll bemalte
Steingutbecher und stellte die Karaffe zur Seite. »Ich habe erst vorgestern diesen ganz hervorragenden Tropfen aus der Provence
geliefert bekommen. Wir sollten ihn kosten …« Ungewohnt vertraut erhob er seinen Becher.
Gero erwiderten die Geste, indem er ebenfalls seinen Becher hob, während ihm ein betörendes Duftgemisch von Kirschen und Brombeeren
und auch ein nicht unbedeutender Anteil an Weingeist in die Nase stieg.
»Wie lange kennen wir uns jetzt?«, fragte d’Our auffordernd.
|23| Gero zuckte mit den Achseln. »Ich gehöre dem Orden seit ungefähr sechs Jahren an, aber ich war lange Zeit in Zypern.«
»Factum ist, wir beide – Ihr und ich – kennen uns schon sehr viel länger … Ihr wart ein Kind, als ich Euch zum ersten Mal
sah.«
Gero unterdrückte seine aufkommende Ungeduld. Der Komtur hatte ihn wohl kaum Platz nehmen lassen, um ihm Anekdoten aus seiner
mehr oder weniger turbulenten, aber bestimmt nicht weiter erwähnenswerten Jugend zu unterbreiten.
»Ich schätze und vertraue Euch sehr, nicht zuletzt wegen Eurer Herkunft. Wie Ihr wisst, verehre ich Euren Vater als tapferen
Mann, der dem Orden immer loyal zur Seite gestanden hat, und das ohne je zu den Unseren zu gehören.« D’Our trank und setzte
den Becher bedacht ab. Wieder sah er Gero mit seinen steingrauen Augen an, als ob er zum Grunde seiner Seele vordringen wollte.
»Ihr habt einen Eid zur Verschwiegenheit geleistet, trotzdem möchte ich Eure Zusicherung, dass das, was ich jetzt sage, hier
in diesem Raum bleibt – für alle Zeiten.« Er ließ fragend seine Augenbrauen hochschnellen.
Gero nickte beflissen. »Ihr könnt Euch auf mich verlassen, bei meiner Ehre, Sire«, flüsterte er heiser.
»Also dann«, begann d’Our leise mit vielsagendem Blick. »Unsere geheimen Quellen am Hofe in Paris haben in Erfahrung bringen
können, dass König Philipp in der Nacht von Donnerstag dem 12. auf Freitag den 13. einen Angriff auf all unsere Niederlassungen
in Franzien plant. Die Befehle liegen angeblich bereits seit September in Guillaume de Nogarets Hauptquartier. Es war anzunehmen,
dass dessen unerwartete Ernennung zum Großsiegelbewahrer nicht ohne Grund erfolgt ist. Nach allem, was wir bis jetzt wissen,
liegen im ganzen Land verteilt in den Kommandanturen der königlichen Soldaten versiegelte Botschaften vor, die entsprechende
Befehle enthalten und bei Androhung von Todesstrafe erst morgen Abend geöffnet werden dürfen. Somit bleibt uns wenig Zeit
entsprechende Vorkehrungen zu treffen.«
Gero starrte seinen Komtur
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