Das Geheimnis des toten Fischers
erklärte er mir und ging dann voraus durch den Vorgarten.
Ich folgte ihm und genoß den Duft der überreifen Äpfel. Er erinnerte mich an
Cidre und an Footballspiele und lange Nachhausewege, Hand in Hand mit dem
hübschesten Jungen der Mannschaft. Seltsam, wie eine neue Romanze die
Erinnerungen an frühere weckte...
Eine Frau mit dunklem, lockigem Haar
und einem rosigen Teint saß mit übereinandergeschlagenen Beinen unter einem
Baum und sortierte Apfel in einen Korb. Der kleine Junge umarmte sie und
vergrub den Kopf in ihrem Schoß. Sie erwiderte die Umarmung, zupfte dann den
Träger ihres Kleids wieder zurecht, der bei der Umarmung verrutscht war, und
winkte mir. Ich ging zu ihr hin.
»Mein Name ist Susan Tellenberg«, sagte
sie, »und das ist mein Sohn Robbie.«
Der kleine Junge machte sich frei,
begrüßte mich nachträglich artig und begann dann herumzuhüpfen und zertrat auf
der Erde liegende Äpfel. Seine Mutter warf ihm einen ermahnenden Blick zu, und
er hörte sofort auf damit. »Ms. McCone und ich haben etwas zu besprechen,
Robbie. Vielleicht gehst du ins Haus und liest in einem Buch.«
»Ich habe alle meine Bücher gelesen.«
»Dann lies eines zum zweitenmal. Die
Geschichte über das Rhinozeros hat dir doch so gut gefallen.«
»Rhinozeros!« Er riß die Augen weit auf
und lief zum Haus.
»Er ist sehr jung zum Lesen«, sagte
ich.
»Man ist nie zu jung.« Sie lächelte.
»Außerdem ist er auf diese Weise beschäftigt, und es ist billiger, als wenn ich
einen Fernseher kaufen müßte. Hoffentlich haben Sie nichts dagegen, wenn wir
hier draußen sprechen. Ich muß das Fallobst einsammeln, bevor es verfault.«
»Kein Problem.« Ich setzte mich auf den
Boden, war froh, daß ich Jeans angezogen hatte. »Lassen Sie mich helfen.«
»Sie wollten etwas über Barbara
erfahren«, begann sie dann.
Ich hob ein paar Äpfel auf und legte
sie in den Korb. »Ja, ich habe im Zusammenhang mit einer anderen Ermittlung
über den Fall gelesen und wollte einen genaueren Bericht von jemandem, der Ihre
Schwester wirklich gekannt hat.«
»Hat dieser andere Fall mit Andy zu
tun? Versuchen Sie, ihn zu finden?«
»Ihren Mann? Nein. Er steht im
Zusammenhang mit einer Person, die im ›The Tidepools‹ gearbeitet hat.«
»Gut.« Sie nickte zufrieden und ging
dann zu einem anderen Baum, um die Äpfel aufzusammeln.
Ich folgte ihr. »Warum gut?«
»Weil Andy meine Schwester nicht
getötet hat, und weil ich nicht will, daß man ihn findet. Er hat ein neues
Leben begonnen und hat auch das Recht dazu.«
»Das hört sich so an, als ob sie ihn
mögen.«
»Ich mag Andy sehr. Er hat viel
ertragen müssen von meiner Schwester, und zum Schluß hat man ihn auch noch
verdächtigt, sie umgebracht zu haben... Es war einfach nicht fair. Wenn er nur
geblieben wäre — es bestand nicht der geringste Anlaß für ihn, zu fliehen.«
»Ach?«
Sie mußte meine Bemerkung als skeptisch
ausgelegt haben, weil ihre Augen auf einmal verärgert funkelten. »Barbaras Tod
war ein Selbstmord. Andy ist davongelaufen, weil die Polizei alle möglichen,
unbegründeten Spekulationen angestellt hat.«
»Er muß große Angst gehabt haben.«
Sie zuckte mit den Schultern. »Andy war
immer ein Feigling. Aber ein netter Feigling und ein sanfter Mensch. Er konnte
niemandem ein Leid zufügen, am wenigsten Barbara. Er hat sie auf seine Weise
sehr geliebt.«
»Erzählen Sie mir von Barbara.«
Susan entspannte sich, sobald wir das
Thema Andy beendet hatten. »Es klingt vielleicht, als ob ich meine Schwester
nicht gemocht hätte. Das ist nicht wahr. Aber sie hatte so viele Probleme — zusätzlich
zu ihrer Krebskrankheit, meine ich — , und das waren alles Schwierigkeiten, die
sie sich selbst zuzuschreiben hatte.«
»Zum Beispiel?«
»Sie trank zuviel, sie nahm alle
möglichen Drogen und Tabletten. Sie war seit Jahren immer wieder weg zu
Entziehungskuren, blieb aber nie lange genug, um von ihrer Sucht loszukommen.«
»Fiat man bei ihr eine spezielle
geistige Störung festgestellt?«
»Sie war manisch-depressiv, und je
älter sie wurde, desto heftiger wurden diese Stimmungsschwankungen. Als sie
herausfand, daß sie Krebs hatte, verfiel sie endgültig in Depressionen. Wir — Andy
und ich — nahmen an, daß ›The Tidepools‹ die einzige Möglichkeit war, um sie
vor einem Selbstmord zu bewahren. Andere Mitglieder der Familie — wenn Sie die
Zeitungsberichte gelesen haben: diejenigen, mit denen die Reporter danach
gesprochen haben — waren anderer Meinung.
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