Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Geheimnis des Viscounts

Titel: Das Geheimnis des Viscounts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Hoyt
Vom Netzwerk:
ich auch dort war", erwiderte Vale. Behutsam nahm er dem jungen Mann die Flasche aus der Hand. „Ich habe es überstanden, und Sie werden es ebenso überstehen. Sie müssen stark sein, dürfen nicht verzagen."
    „Aber sehen Sie sie denn nicht, die Geister?", flüsterte der junge Mann erregt.
    Gequält schloss Vale die Augen. „Wir sollten ihnen nicht so viel Beachtung schenken. Schauen Sie nach vorn, richten Sie Ihre Gedanken auf leichtere, erfreulichere Dinge. Wenden Sie sich von den schrecklichen Erinnerungen ab, die Sie quälen. Sie werden Ihren Verstand sonst gefangen nehmen und Sie mit sich hinabziehen."
    Der junge Mann sank gegen die Wand. Zumindest seine Miene hellte sich ein wenig auf, als sehe er in all seiner Verzweiflung doch einen Hoffnungsschimmer. „Sie verstehen mich wenigstens, Vale. Niemand sonst tut es."
    Ein Hausdiener tauchte am Ende des Korridors auf und sah fragend zu Lord Vale. Der nickte.
    „Ihre Kutsche steht bereit." Lord Vale legte dem jungen Mann die Hand auf die Schulter. „Fahren Sie nach Hause und ruhen Sie sich aus. Ich komme morgen vorbei, mein Freund, und hole Sie zu einem kleinen Ausritt im Hyde Park ab."
    Der Unglückliche seufzte schwer und ließ sich vom Hausdiener hinausführen.
    Lord Vale blickte den beiden nach, bis sie um die Ecke verschwunden waren. Dann hob er die Flasche an den Mund und nahm einen Schluck.
    „Gottverdammt", murmelte er, als er die Flasche wieder sinken ließ und verzog das Gesicht vor Schmerz oder anderen, unergründlichen Regungen. „Gottverdammt."
    Schließlich wandte er sich ab und ging davon.
    Eine halbe Stunde später sah sie Lord Vale wieder. Er war im Ballsaal und flüsterte Mrs Redd Anzügliches ins Ohr. Melisande hätte niemals geglaubt, dass dieser sorglose Schelm derselbe Mann war, der eben noch seinen Freund getröstet hatte, wenn sie es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte. Doch sie hatte es gesehen, und in diesem Moment hatte sie es gewusst. Trotz Timothy und den grausamen Lektionen, die er sie über die Liebe, über Leid und Verlust gelehrt hatte, wusste sie es. Lord Vale war ein Mann, der seine Geheimnisse mindestens so gut verborgen hielt, wie sie selbst es tat. Ein Mann, in den sie sich heillos — hoffnungslos verlieben könnte.
    Und genau das hatte sie getan. Seit sechs Jahren liebte sie ihn nun schon, wohl wissend, dass er nicht einmal wusste, wer sie war. Ungerührt hatte sie dabeigestanden und mit angesehen, wie Emeline sich mit Lord Vale verlobt hatte. Denn wozu um einen Mann trauern, der doch nie der ihre sein würde? Sie hatte mit angesehen, wie er sich abermals verlobte— diesmal mit der törichten Mary Templeton. Und sie trug es mit Fassung, zumindest äußerlich. Doch als sie gestern in der Kirche hatte erfahren müssen, dass Mary Lord Vale doch allen Ernstes den Laufpass gegeben hatte, hatte sich etwas Wildes, Unbeherrschbares in ihrer Brust geregt. Warum eigentlich nicht? hatte es in ihr geschrien. Warum es nicht wagen?
    Und genau das hatte sie getan.
    Melisande drehte den kleinen Silberknopf, bis das Kerzenlicht auf der polierten Oberfläche blitzte. Sie würde sehr, sehr gut überlegen müssen, wie sie weiter mit Lord Vale verfahren wollte. Die Liebe, das wusste sie nur zu gut, war ihre Achillesferse. Niemals, weder durch Worte, noch durch Taten, durfte sie ihn wissen lassen, was sie wirklich für ihn empfand. Melisande öffnete die Tabaksdose und legte den Knopf behutsam hinein.
    Rasch kleidete sie sich aus und löschte alle Kerzen, ehe sie zu Bett ging. Mouse kam zu ihr unter die Bettdecke gekrochen. Das Bett bewegte sich leicht, als er sich umständlich umdrehte, ehe er sich mit einem schweren Schnaufen niederließ und seinen Rücken warm und weich an ihre Waden schmiegte.
    Melisande starrte ins Dunkel. Bald würde sie ihr Bett nicht mehr nur mit Sir Mouse teilen. Würde sie Jasper beiwohnen können, ohne das Geheimnis ihrer Liebe zu verraten? Der Gedanke ließ sie erschauern. Rasch schloss sie die Augen und schlief wenig später ein.
    Die Woche darauf ließ Jasper seine beiden Grauen vor Mr Harold Flemings Haus halten und sprang von seinem Phaeton. Seinem neuen Phaeton. Hoch war er und sehr elegant, mit riesigen Rädern, und hatte ein kleines Vermögen gekostet. Wohl auch deswegen freute er sich darauf, Miss Fleming zu einer musikalischen Soiree zu fahren. Auf die Musikdarbietung freute er sich weniger — um nicht zu sagen, gar nicht —, aber irgendwohin musste er mit seinem neuen Phaeton ja fahren.
    Er

Weitere Kostenlose Bücher