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Das Geheimnis des Viscounts

Titel: Das Geheimnis des Viscounts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Hoyt
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Frühstückszimmer und versuchte, sich den Schlaf aus den Gliedern zu schütteln. Zugegeben, sie hatte den Ball früh verlassen, aber früh hieß in diesem Fall immer noch nach Mitternacht. Wie konnte es angehen, dass sie jetzt schon frisch und munter beim Frühstück saß? Er hingegen war noch eine Stunde länger geblieben und hatte vergebens versucht, sich bei Lord Hasselthorpe Gehör zu verschaffen. Hasselthorpe fand allein den Gedanken, das Regiment seines Bruders könne von einem Spion der Franzosen verraten worden sein, vermessen — und er hatte seinen Zweifeln lautstark Ausdruck verliehen. Woraufhin Jasper beschlossen hatte, ein paar Tage verstreichen zu lassen, ehe er abermals mit dem Mann zu reden versuchte.
    In dem verzweifelten Bemühen, zumindest wach zu wirken, riss er nun die Augen weit auf und betrat das Frühstückszimmer. Und da saß sie, allem Anschein nach hellwach, den Rücken kerzengerade, das Haar zu einem schlichten Knoten aufgesteckt, der Blick aus hellbraunen Augen kühl und gefasst.
    Er verbeugte sich. „Guten Morgen, liebe Gemahlin."
    Wenn er sie jetzt so betrachtete, käme er nie auf den Gedanken, sie könne die mysteriöse Frau im dunkelvioletten Kapuzenmantel von voriger Nacht gewesen sein. Vielleicht hatte er ja alles nur geträumt, eine verführerische Vision gehabt. Wie sonst ließ sich erklären, dass zwei so unterschiedliche Frauen in ein und demselben Leib lebten?
    Doch als sie ihn ansah, meinte er einen flüchtigen Blick auf seine Herrin der Nacht zu erhaschen, die dort irgendwo hinter all dieser Gelassenheit lauerte. Sie nickte verhalten. „Guten Morgen."
    Ihr kleiner Hund kam unter ihren Röcken hervor und starrte ihn böse an. Jasper starrte zurück, bis das Tier sich wieder unter ihren Stuhl verzog. Es konnte ihn ganz offensichtlich nicht leiden, aber zumindest war jetzt klargestellt, wer der Herr im Haus war.
    „Hast du gut geschlafen?", erkundigte er sich und schlenderte ans Büffet.
    „Ja", erwiderte sie hinter ihm. „Und du?"
    Blicklos starrte er auf den Teller mit Heringen, die eben so blicklos zurückstarrten, und dachte an seinen armseligen Strohsack auf dem Boden des Ankleideraums. „Wie ein Toter."
    Das stimmte auch, wenn man davon ausging, dass die Toten mit einem Messer unter dem Kissen schliefen und sich die ganze Nacht unruhig wälzten. Er spießte einen Hering auf die Gabel und beförderte ihn auf seinen Teller.
    Als er an den Tisch zurückkehrte, lächelte er Melisande an. „Hast du heute schon etwas vor?"
    Argwöhnisch sah sie ihn an. „Ja, aber nichts, was dich interessieren könnte."
    Diese Bemerkung war natürlich erst recht dazu angetan, sein Interesse zu wecken. Er nahm ihr gegenüber Platz. „Oh, das klingt aber vielversprechend."
    Sie nickte und goss ihm Tee ein. „Ein paar Einkäufe mit meinem Mädchen erledigen."
    „Fantastisch!", rief er.
    Irritiert sah sie ihn an. Vielleicht hatte er es mit seiner Begeisterung doch ein wenig übertrieben.
    „Du möchtest mich gewiss nicht dabei begleiten." Es war keine Frage, sondern eine Feststellung, und für sie schien die Angelegenheit damit erledigt. Sie presste die Lippen zusammen und schaute ihn an.
    Was sie wohl sagen würde, wenn sie wüsste, dass er ihre gestrenge Miene unglaublich erregend fand? Natürlich wäre sie entsetzt. Pikiert würde sie sein. Doch dann musste Jasper wieder an die Verführerin von gestern Abend denken, die ihm ohne mit der Wimper zu zucken Anzügliches zugeflüstert hatte. Vielleicht wäre sie ja doch nicht entsetzt. Aber welche der beiden war wirklich seine Frau? Die spröde Dame, die er bei Tage zu sehen bekam, oder die Abenteurerin der Nacht?
    Erst einmal wartete sie jetzt auf seine Antwort. „Ich wüsste nichts Schöneres, als den Morgen mit Einkäufen zu verbringen", sagte er und grinste.
    „Und ich wüsste keinen Mann, der das jemals von sich behaupten würde."
    „Dann kannst du dich aber glücklich schätzen, mit mir verheiratet zu sein."
    Darauf erwiderte sie nichts und goss sich stattdessen noch eine Tasse Kakao ein.
    Er brach ein Brötchen entzwei und begann es zu buttern. „Es war eine Freude, dich gestern auf dem Ball zu sehen."
    Kaum merklich versteifte sie sich. Hätte er das jetzt nicht sagen sollen, ihre nächtlichen Umtriebe nicht erwähnen dürfen?
    „Ich bin deinem Freund Matthew Horn gestern das erste Mal begegnet", lenkte sie ab. „Kennt ihr euch schon lange?"
    Ah, so lief das also. Sie versuchte, ihre Nachtseite zu ignorieren. Sehr

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