Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman
kindisches Wüten und ihre Kurzschlussreaktion, die sie dazu gebracht hatte, einen Mietwagen zu nehmen und als ungeübte Fahrerin geschlagene 1000 Kilometer zurückzulegen, ohne einen Nervenzusammenbruch zu erleiden. Mit einem Anflug von Stolz aß sie das Stück Frankfurter Kranz und begann sich währenddessen bereits nach Nachschub umzusehen. Der Windbeutel, mit dem Lars abgezogen war, hatte äußerst appetitlich gewirkt.
»Bedeutet das, dass Erik dich nicht begleitet, weil ihr einen heftigen Streit hattet?«, begann Anette die Rahmengeschichte weiterzuspinnen.
»Erik Brunner ist heute nicht mit von der Partie, weil er nicht länger Teil meines Lebens ist. Und soweit es möglich ist, werde ich verschweigen, je etwas mit ihm zu tun gehabt zu haben.«
»A-ha.« Anette wirkte restlos überrumpelt. »Das ist nun wirklich eine Überraschung, schließlich wart ihr doch so ein schönes Paar … Vor ein paar Wochen erst hast du mir diese hübschen Fotos von eurem Wanderurlaub geschickt. Du und Erik … Ihr habt doch auf vielen Ebenen harmoniert.«
»Das dachte ich auch«, unterbrach Greta ihre Mutter, bevor sie noch anfing, von Eriks gutem Aussehen oder anderen Schwiegersohn-Qualitäten zu schwärmen. »Nur leider hat sich herausgestellt, dass der Mann, mit dem ich fast vier Jahre zusammen war, gar nicht existiert. Der Erik, den wir kannten, war sozusagen ein ausgesprochen raffinierter Marketing-Gag.«
»Ein Gag?«
Anette verstummte, aber sie wäre ohnehin nicht weiter zum Reden gekommen, denn in diesem Augenblick stürmte Wencke in die Küche. Gretas ältere Schwester war eine von Natur aus üppige Frau, der es nur mit eiserner Disziplin und häufigen Besuchen im Fitnessstudio gelang, ihre Figur auf eine durchschnittliche Kleidergröße zu trimmen. Im Gegensatz zu Greta trug sie stets Make-up und versuchte die aktuellen Modecodes mit Hilfe der »Bunten« und »Gala« nachzuahmen. Anklagend deutete sie mit dem Zeigefinger auf ihre jüngere Schwester.
»Das ist wieder einmal typisch, dass du dich in die Küche verkrümelst, anstatt uns ›Guten Tag‹ zu sagen. Wir warten alle auf dich, aber dir ist das ja egal.«
Greta seufzte, obwohl sie mit dieser Art Begrüßungsritual durchaus vertraut war. Wencke verdächtigte sie permanent, mit allen Mitteln die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, sogar wenn sie gar nichts tat. »Hallo, Schwesterherz. Soviel ich mitbekommen habe, warst du zu sehr mit Wilkes Kirschlikör beschäftigt, um mir die Tür aufzumachen. Oder fandest du eher, dass ich eine solche Freundlichkeit nicht verdiene?«
Ein Muskel in Wenckes Kinn zuckte und verriet, dass Greta mit ihrer Vermutung richtiglag. »Ich bin nicht zur Tür gegangen, weil es gerade so lustig war, außerdem nerven die Kinder schon den ganzen Nachmittag mit der Klingelei. Ich wette, da steckt Finn dahinter, der ärgert sich nämlich darüber, dass er auf die Kleinen aufpassen muss. Der ist in der letzten Zeit ständig launisch, vermutlich fängt das schwierige Alter heutzutage schon mit neun Jahren an.« Finn war Wenckes ältestes von drei Kindern. Irgendwo musste noch die kleine Agnes sein, vermutlich hielt sie sich dort auf, wo auch Arjen war. Die Dreijährige hegte eine Schwäche für ihren Uropa und ließ sich bestimmt auch nicht davon abschrecken, dass er inmitten seiner Geburtstagsgäste döste.
»Was ist eigentlich mit deinem Handy los?«, hakte Wencke nach. »Ich habe mindestens hundert Mal versucht, dich zu erreichen.«
Greta brauchte einige Sekunden, um zu reagieren. »Es ist ausgeschaltet.«
»Ja, das habe ich mitbekommen. Ich frage mich bloß: warum? Wozu hat man so ein Teil, wenn man es nie benutzt? Nicht einmal wenn man sich zu einem Fest wie irre verspätet und bloß mal durchrufen müsste, um zu sagen, wann man denn nun bitte schön eintrifft – und vor allem allein, also ohne die erwartete Begleitung. Erik hätte dir das Handy nicht zu schenken brauchen, das war die reinste Geldverschwendung.«
Ja, das hätte Erik mal besser gelassen, dann müsste er jetzt auch nicht versuchen, das teure Gerät aus seinem Toilettenabfluss zu befreien . Dort hatte es jedenfalls festgehangen, nachdem Greta es gemeinsam mit ein paar anderen Geschenken von Erik runtergespült hatte. Der Wasserrückstau hatte zu einer Überschwemmung des Badezimmers geführt, mit der sie sich, Gott sei Dank, nicht mehr hatte befassen müssen.
»Da lebst du jahrelang im mondänen Zürich aber benimmst dich schlimmer als jede Dorfpomeranze. Allein dein
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