Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman
weiß, wer du bist und wie du dich verdingt hast. Und du kannst deinen mageren Hintern darauf verwetten, dass es schon bald die ganze Insel weiß.«
Mit diesen Worten suchte Ennenhof das Weite, während Arjen von seinem Freund am Handgelenk festgehalten wurde, damit er dem Großmaul nicht nachsetzte. Rubens Griff ließ sich nicht abschütteln, sosehr sich Arjen auch bemühte.
»Lass es gut sein«, appellierte Ruben. »Auf Ole einzuschlagen hat den gleichen Effekt, als würdest du dir selbst eine verpassen: Das kommt wie ein Bumerang zurück.«
»So etwas darf dieser Drecksack doch nicht einfach ungestraft behaupten!« Arjen spürte eine Wut in sich hochzüngeln, die er noch nie zuvor verspürt hatte. Er war wütend auf den großspurigen Ennenhof-Spross, der genau wusste, dass er mit jeder Frechheit durchkam, wütend auf Rubens Zurückhaltung und auf sich selbst, weil er erst reagiert hatte, als es eigentlich schon zu spät gewesen war. »Jetzt wird Ennenhof seine Lügen in ganz Beekensiel erzählen, die Geschichte wird schneller umgehen als ein Darmvirus. Sie werden alle glauben, du wärst käuflich.«
Obwohl Ruben immer noch blass war, seitdem Peer Hinrichs’ Name in einem solchen Zusammenhang gefallen war, gelang ihm ein Lächeln, als er in seinen Hosenbund griff und die Lebensmittelkarten hervorholte. »Das bin ich doch auch.«
»Aber nicht auf diese Weise, wie Ennenhof es behauptet hat?« Eigentlich hatte der Satz eine Bestätigung sein sollen, aber irgendwie schlich sich am Ende ein Fragezeichen ein. Beschämt, nicht wie ein Felsen hinter seinem Freund zu stehen, schlug Arjen den Blick nieder.
»Peer Hinrichs war ein ausgemachter Querkopf, der mich und Pirat alles andere als zuvorkommend behandelt hat. Aber er hat mich nie zu etwas genötigt oder mich für bestimmte Dinge bezahlt, wie Ennenhof behauptet. Diese Lüge war doch schon damals nur ein Mittel zum Zweck. Weil ich angeblich nicht nur ein Ausreißer, sondern ein Straßenjunge war, haben sie mich in eine ganz üble Erziehungsanstalt gesteckt, aus der mich erst der Krieg rausgeholt hat. Und jetzt wollen sie diese Lüge erneut gegen mich verwenden. Allerdings macht Ennenhof dabei einen entscheidenden Fehler: Ich bin weder ein kleiner Junge noch ein eigenbrötlerischer Geist wie Peer Hinrichs – ich bin in der Lage, mich zur Wehr zu setzen, und das wird er schon bald herausfinden.«
Während Arjen, in Grübeleien versunken, dastand, brachte Ruben dem merklich angetrunkenen Bircher seinen Anteil und verabschiedete sich. Es war bereits später Nachmittag, und über den Himmel hatte sich ein feiner, gleichmäßiger Wolkenschleier gelegt, der den Hafen in ein mildes Licht tauchte. Sobald Ruben und Arjen die provisorische Anlegestelle und den in Mitleidenschaft gezogenen Kern des Dorfes hinter sich ließen, konnten sie die Zerstörung, die der Krieg hinterlassen hatte, vergessen. Der Sommer legte sich wohltuend über jeden Schatten, bis nicht einmal mehr Arjen sich seiner Wirkung entziehen konnte. Die leichte Brise trug Möwenschreie mit sich, das Dünengras wisperte, und als sie sich in den Sand legten, spürten sie die Wärme des Tages auf den nackten Unterarmen. Arjens Sorgen wurden von einer unsichtbaren Welle davongespült, und der Duft von Salz, Algen und Muscheln weckte die Lust auf mehr … Mehr von der Wärme und Leichtigkeit.
»Ein Sommerfest«, sagte Arjen mitten aus dem Blauen heraus und drehte sich auf die Seite zu seinem Freund.
Ruben hatte sich das Fischerhemd ausgezogen, den Rücken in die Düne geschmiegt und die Arme hinterm Kopf verschränkt. Seine Augen waren halb geschlossen, und er brummte bloß träge als Erwiderung.
»Eigentlich hätte ich mir eine begeistertere Reaktion auf dieses Zauberwort versprochen.« Arjen merkte, wie sich ein Kribbeln in seinem Körper ausbreitete. Genau das war es: ein Zauberwort. Und er spürte die Wirkung bereits.
»Am besten klärst du mich erst einmal auf, was es mit diesem Wort auf sich hat, dann entscheide ich, ob die Sache es wert ist, auch nur einen Muskel zu rühren.«
Für diese Frechheit schnipste Arjen eine Ladung Sandkörner auf Rubens flachen Bauch. Schimpfend stützte sein Freund sich auf den Ellbogen und bemühte sich, den Sand wegzuwischen, der jedoch haften blieb.
»Wehe, an deinem Hokuspokus ist nichts dran, dann werde ich …«
Arjen winkte ab. »In drei Wochen wird es eine Versammlung auf dem Marktplatz geben, auf der sich die Bürgermeisterkandidaten vorstellen sollen. Ich
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