Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman
gar nicht«, schloss Arjen die Geschichte, in der Ruben lieber einen heißen Sommernachmittag in seiner Kate verbrachte, als auf einem Fest zu tanzen. »Es sei denn, du glaubst ebenfalls, dass du mich wegen meiner Krankheit nur noch mit Samthandschuhen anfassen darfst, weil schon das Alltäglichste für mich zu belastend ist. Falls du es noch nicht mitbekommen hast: Anette unterschlägt mir wieder einmal die Tageszeitung. Dabei hilft Politik- Abstinenz bestenfalls bei Magenkrebs.«
Zuerst hatte Greta gezögert, mit der Sprache herauszurücken – nicht etwa weil sie Arjen schonen wollte, sondern weil die Ereignisse in Adeles Wohnung viel darüber aussagten, welche überzogenen Hoffnungen sie mit Mattes verbunden und wie heillos sie Mastbruch erlitten hatte. Dann besann sie sich jedoch anders, denn es machte wenig Sinn, Geheimnisse vor ihrem Großvater zu haben. Jetzt noch weniger als je zuvor.
»Ich habe gestern Abend Adele kennengelernt und ihr bei der Gelegenheit die Fotos gezeigt, die Mattes für mich hat abziehen lassen. Leider war die alte Dame danach sehr aufgebracht, wobei ich nicht genau sagen kann, warum. Vermutlich lag es an den Aufnahmen von Fred Denneburg, die ebenfalls im Stapel dabei waren und die wohl einen der Ennenhofs in einem kompromittierenden Zusammenhang zeigen. Mattes meinte, ich hätte diese Aufnahmen seiner Großmutter mit der Absicht gezeigt, seiner Familie etwas unterstellen zu wollen. Als wäre ich in einem Recherchewahn. Aber das stimmt nicht, ich weiß ja nicht einmal, was genau auf diesen Fotos zu sehen war. Beim Durchsehen der Aufnahmen haben mich Ruben und der Walfischknochen interessiert, mehr nicht.«
Arjen schüttelte ungläubig den Kopf. »So was. Mattes tritt also für die Ehre der Ennenhof-Sippschaft ein. Wenn er sich da mal nicht zu viel vorgenommen hat.« Mehr war aus Arjen zu diesem Thema nicht herauszubekommen gewesen, was Greta letztlich nicht unlieb gewesen war, schließlich hatte ihr ohnehin schon der Kopf gesummt.
Die Idee, sich zum Schreiben in Magdas Haus – wie Greta die Reetdachkate nach ihrer Urgroßmutter mittlerweile in Gedanken nannte – zurückzuziehen, war ihr gekommen, nachdem am Morgen ihre anstrengende Tante Beeke im Sturmwind eingefallen war. Und zwar mit der Nachricht, dass am Wochenende auch Wencke mit ihrer Familie anreisen würde. Wenn Arjen nicht zu seiner Familie kam, dann kam seine Familie eben zu ihm, hatte Beeke voller Theatralik gesagt. Daraufhin war sie in schallendes Gelächter ausgebrochen, das nahtlos in einen Weinkrampf überging. Mit Beekes Ankunft waren auch Anettes Ge fühle wieder hochgekocht. Endlich hatte sie eine Verbündete an ihrer Seite, die Arjens Entscheidung ebenfalls inakzeptabel fand. Nachdem Greta eine Stunde lang Zeugin unzähliger Tränen und Kummerbekundungen der beiden Frauen geworden war, beschloss sie, das Feld dem kurzerhand einnickenden Arjen und dem in allen Lebenslagen geschulten Thomas Roder zu überlassen. Trude hatte ihr Decken, Brennholz und jede Menge nützliche Tipps mit auf den Weg gegeben, die von »zum Feuermachen Zeitungspapier benutzen« bis zu »Männer sind schwierige Lebewesen, besser, man ärgert sich gar nicht erst über sie« reichten. Offenbar hatte sie bereits von ihrem Streit mit Mattes erfahren.
Als das knarzende Türschloss der Kate nachgegeben hatte, war die Anspannung schlagartig von Greta abgefallen. Ein Blick in die Diele reichte aus, um erneut die Verbundenheit zu verspüren, die sie bei ihrem letzten Besuch überkommen hatte. Hier war der richtige Platz für sie, auch wenn die Wände feucht waren und es nach morschem Holz roch. Nun, da der Ofen die Stube ordentlich einheizte, wagte sie es sogar, Arjens Strickjacke auszuziehen, die sie sich zu guter Letzt noch rasch unter den Arm geklemmt hatte. Draußen vorm Fenster zogen dunkle Wolken vorbei, und die Zweige der Eschen hoben sich wie ein schwarzes Spitzenband davor ab.
Greta versuchte, sich auf die soeben aufgeschriebenen Zeilen zu konzentrieren. Noch immer wusste sie nicht, was aus Ruben geworden war, obwohl sie eine dunkle Ahnung hatte. Es gelang ihr jedoch nicht, sich mit diesem Rätsel zu beschäftigen, denn ihre Gedanken wanderten eigenmächtig zu Mattes und der Tatsache, dass sein Verhalten sie über alle Maßen verletzt hatte. Anstatt froh über seine Reaktion zu sein, die ihr beizeiten gezeigt hatte, dass er sich ohne Zögern von ihr abwenden konnte, war sie verstört. Und genau das ärgerte sie. Wenn schon nicht
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