Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman
mahlenden Kiefermuskeln Schatten warfen.
»Wärst du nicht mein Freund, würde ich dir für diese Bemerkung den Schädel einschlagen«, sagte Ruben schließlich gefährlich leise. Das Kerzenlicht flackerte in seiner Hand. »Du hast mir zwar hinterhergeschnüffelt, aber nicht das Geringste verstanden. Offenbar hast du nicht einmal eine Ahnung, wer ich eigentlich bin. Oder glaubst du ernsthaft, ich würde ein Mädchen verführen und sie anschließend bloßstellen, nur um ihren Verlobten vorzuführen?«
So formuliert klang das tatsächlich nicht nach Ruben. »Es ist doch deine Devise, dass man alles daransetzen muss, sein Ziel zu erreichen«, erwiderte Arjen kleinlaut.
»Ja, natürlich. Man muss mit seinem ganzen Willen kämpfen. Aber das bedeutet noch lange nicht, dass man das Recht hat, dabei jemanden zu demütigen. Das ist Ennenhofs Spezialität, mit einem solchen Verhalten will ich nichts zu tun haben.«
»Aber du warst mit Adele zusammen … Allein dieser verräterische Geruch an dir. Und nach dem Fest war sie auch bei dir in der Fischerkate, richtig?«
Ruben wich einen Schritt zurück, er sah verlegen aus, geradezu überführt, doch dann hatte er sich wieder gefangen. »Das mit Adele und mir … Das ist echt. Ich liebe sie, das war vom ersten Augenblick an so. Ich habe als Junge lediglich einen Blick auf sie werfen können, auf ihr dunkles Haar und dieses stets einen Tick zu hoch getragene Kinn, als würde sie über alles hinwegsehen. Als verwahrloster Bursche, der ich damals war, wäre ich ihr niemals freiwillig unter die Augen getreten. Ich habe sie immer aus der Ferne beobachtet … Beim Spaziergang mit ihrem Hund entlang der Promenade oder wenn sie im Garten saß und las. Sie hat nie mitbekommen, wenn ich sie beobachtet habe. Einmal bin ich nachts sogar in ihr Zimmer eingestiegen, um sie mir in Ruhe aus der Nähe anzusehen. Das war ein echtes Kunststück, weil ihr Weimaraner vor ihrem Bett schlief. Um diesen Köter ruhigzustellen, ist die ganze Beute meines Streifzugs draufgegangen.«
Ein Lächeln schlich sich auf Rubens Lippen und zeigte nicht bloß, dass er den Köter gemocht hatte, sondern auch, wie tief sich ihm diese Erinnerung eingeprägt hatte. Unwillkürlich verspürte Arjen einen Stich der Eifersucht. Jeder herausragende Moment in jenem Sommer hatte ihnen gehört! Doch nun machte es den Eindruck, als sei sein Freund in Gedanken ganz woanders gewesen, beim schönsten Mädchen von Beekensiel … Dann erinnerte sich Arjen unwillkürlich daran, wie es ihm auf dem Fest ergangen war, an den Sog der Empfindungen, in den die tanzenden Frauen ihn gerissen hatten. Er hatte zumindest eine Ahnung davon erhalten, welche Gefühle das andere Geschlecht auszulösen vermochte. »Bist du wegen Adele wiedergekommen?«
Aus Rubens entrücktem Lächeln wurde ein Grinsen. »Ich habe Beekensiel auch wegen Adele eine zweite Chance gegeben, aber du warst natürlich auch ein ganz passabler Grund.«
So leicht ließ Arjen sich nicht einwickeln. »Der Tag, als ich dich am Hafen wiedergetroffen habe, da hast du gar nicht darauf gewartet, dass ich aus dem Gottesdienst komme, du wolltest bloß Adele begaffen.«
»Ein klassischer Doppelstreich, würde ich sagen.« Glücklicherweise unterdrückte Ruben ein Lachen, das hätte Arjen ihm auf keinen Fall durchgehen lassen. »Nein, wirklich. Als ich im Frühjahr endlich eine Gelegenheit gefunden hatte, nach Beekensiel zu kommen, wollte ich als Erstes zu dir. Aber noch auf dem Festland wurde ich von Jörg Claußen angesprochen, der sich auf dem Schwarzmarkt in Rotgers Scheune Baumaterial besorgt hatte. Zuerst fragte er, ob ich auf seinem Karren mitfahren wolle, und dann, ob ich mich mit Malerarbeiten auskannte. Zuerst dachte ich, dass er mich wohl nicht wiedererkennt, schließlich ist es schwierig, eine Parallele zwischen einem halbverhungerten Kind und einem von so vielen Flüchtlingen zu ziehen. Dann bemerkte ich an der Art, wie er mich aus den Augenwinkeln beobachtete, dass er genau wusste, wer ich war. Ich vermute, dass er mir diese Arbeit als Wiedergutmachung gegeben hat. Wahrscheinlich hat es ihm all die Jahre leidgetan, mich Denneburg und seinen Nazischergen ausgeliefert zu ha ben.«
»Das ist durchaus denkbar«, stimmte Arjen zu. »Claußen mag nicht perfekt sein, aber das dürfte kaum seinem Gerechtigkeitssinn entsprochen haben.«
Ruben nickte bekräftigend. »Und als Claußen mich dann durch diese ausgebrannten Räume geführt hat, die Rasmus Ennenhof ihm zur Verfügung
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