Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman
dieses Auto zu fahren, als sie es sich in ihren schlimmsten Träumen vorgestellt hatte: Der Jeep war unübersichtlich und laut und so hart gefedert, dass sie bei jedem Huckel glaubte, gleich durch den Boden zu brechen. Dieser Wagen war nicht nur eine Zumutung für seine Umwelt, sondern auch für seinen Fahrer!
Alarmiert durch den Motorenlärm kam Mathilde aus dem Häuschen gelaufen, eine Hand schützend aufs Ohr gelegt, damit der kalte Wind nicht hineinfuhr.
Greta kurbelte das Seitenfenster runter. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich dir für die Idee mit dem Jeep danken oder dich beschimpfen soll.«
Mathilde zog die Nase kraus, nur um sogleich wieder ernst zu werden. »Und, bist du bereit?«
Eine Welle schob sich über die steinerne Befestigung und ergoss einen Schwall Gischt über den Asphalt.
»Am besten lasse ich das Fenster gleich offen, damit ich mich ins Freie retten kann, falls der Jeep von der nächsten Welle fortgespült wird. Bei meinem Glück lande ich mit einer Unterkühlung in Mattes’ Nachbarzimmer.«
»Ich nehme das als ein beherztes ›Ja‹.« Mathilde nickte bekräftigend, und damit war die Sache beschlossen. »Normalerweise würde ich dich ja begleiten, aber in einer halben Stunde muss ich Leni stillen, und ihre Oma hat dann auch keine Zeit mehr zum Einhüten. Und jetzt los, Frank kehrt gleich zurück, und ich bin mir sicher, dass er sich bei seinem Spaziergang jede Menge Argumente zurechtgelegt hat, warum es grundlegend falsch ist, diese Schranke zu öffnen. Außerdem werde ich mir anhören müssen, dass ich eine grässliche große Schwester bin, die ihn immer noch herumkommandiert, obwohl er schon lange ein Mann ist. Er ist eh noch sauer auf mich, weil ich ihm wegen Birte den Marsch geblasen habe.« Rasch langte Mathilde nach Gretas Schulter und drückte sie. »Gib die Klinik in Norden ins Navi ein und grüß den alten Brummbär. Sag ihm, er soll ja lieb zu dir sein, das hast du nämlich verdient.«
Greta nickte, dann konzentrierte sie sich auf ihr Ziel auf der anderen Seite der Verbindungsstraße. Dorthin musste sie gelangen, und was dazwischenlag, würde sie einfach nicht beachten. Die einzige Alternative bestand darin, auf Beekensiel zu bleiben und abzuwarten, was das Schicksal für sie bereithielt. Doch wie hatte Ruben es so passend gesagt: Man musste sein Schicksal herausfordern, um zu sehen, was es für einen bereithielt. Kaum hob sich die Schranke, trat Greta aufs Gas, und wie ein Bollwerk schob sich der Jeep auf die Straße. Das Meeresrauschen war geradezu ohrenbetäubend, ein Warnsignal, das Gretas Fluchtinstinkte wachrief und das sie mit aller Kraft ignorierte. Sie spürte, wie die Reifen immer wieder den Kontakt zum Boden verloren und der Wind mit seiner ganzen Kraft gegen die Seite des Wagens drückte. Sie kümmerte sich jedoch nicht darum, sondern starrte so fest auf das vor ihr liegende Festland, dass sie es kaum glauben konnte, als der Jeep es schließlich erreichte.
32
»Jetzt atmen Sie mal schön tief durch, während ich nachschaue, ob Herr Ennenhof bereits vom Aufwachraum auf sein Zimmer verlegt worden ist.« Die Krankenschwester, die Greta auf dem Stationsflur abgefangen hatte, schenkte ihr ein beruhigendes Lächeln, während sie mit ihr zum Schwesternzimmer ging und eifrig in ihren Computer zu tippen begann.
Unter anderen Umständen hätte Greta ihr Lächeln gern erwidert, aber jetzt wollte ihr das nicht gelingen. Die Fahrt zur Klinik hatte viel zu viel Zeit in Anspruch genommen, während sie sich dafür verfluchte, ihr Handy in der Toilette versenkt zu haben. Zum ersten Mal hätte dieses Teil einen Sinn gehabt! Und als sie in dem riesigen Gebäudekomplex der Klinik endlich die Station gefunden hatte, auf der Mattes sich befand, wurde sie vertröstet. Die Schwester durfte ihr nicht einmal sagen, was genau ihm zugestoßen war, weil sie keine Familienangehörige war. Mehr als die Zusicherung, es sei nichts Schlimmes, war nicht aus der Frau herauszubekommen gewesen. Aber was konnte diese Aussage schon bedeuten: nichts Schlimmes? Gretas Kopfkino trieb sie halb in den Wahnsinn.
»So, wie ich es mir gedacht habe«, meldete sich die Krankenschwester wieder zu Wort. »Herr Ennenhof befindet sich bereits auf seinem Zimmer, sein behandelnder Arzt wird gerade noch bei ihm sein. Ich würde also vorschlagen, dass Sie sich in der Zwischenzeit ein wenig beruhigen. Wenn Sie möchten, leihe ich Ihnen auch einen Fön, damit Sie Ihre nassen Haare herrichten können.«
»Die sind
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