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Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman

Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman

Titel: Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
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bis in die Gegenwart reichte – und zwar nicht nur in die ihres Großvaters, sondern auch in ihre eigene. Wie sonst war es zu erklären, dass sie nun auf dem Beekensieler Marktplatz zusammen mit Mattes Ennenhof stand? Oder hätte sie ohne Arjens Geschichte ebenfalls zu diesem Mann gefunden? Greta bezweifelte es. Fast konnte man meinen, dass es die Macht des Walfischknochens gewesen war, die sie auf diese Insel gebracht hatte …
    Mattes nickte ergeben. »Wie du meinst, dann werde ich mal zusehen, dass ich loskomme. Vergiss nicht, die Schnittwunde an deinem Handballen zu reinigen. Wer weiß, was für Schimmelkulturen in diesem alten Mörtel saßen? Die Mauer ist schließlich nicht umsonst zerbröselt, und das bisschen Wasser, das wir auf die Verletzung gegossen haben, wird kaum gereicht haben, um sie richtig auszuspülen.«
    »Ach, den kleinen Schnitt hatte ich schon fast vergessen.« In Wirklichkeit pochte die Wunde scheußlich, und Greta war bloß zu gut gelaunt, um sich damit zu befassen. Der Vormittag war in vielerlei Hinsicht ein Erfolg gewesen.
    Für einen Moment standen sie schweigend voreinander, als wolle keiner von ihnen den anderen verlassen. Außerdem waren sie wohl auch unschlüssig, wie sie sich nach einem solchen Erlebnis voneinander verabschieden sollten. Dann umfasste Mattes leicht ihren Arm, beugte sich vor und gab Greta einen Kuss auf die Wange. Sie spürte seine kühlen Lippen, das Kratzen seiner Bartstoppeln – eine flüchtige Berührung, und doch war es, als würde sie durch unzählige Schichten heißen und kalten Wassers tauchen.
    »Also, dann.« Benommen drückte Greta die friesengrüne Tür des Sturmwind auf und tapste in den Windfang – jedoch nicht, ohne zuvor das Grinsen in Mattes Ennenhofs Gesicht zu bemerken. Der Kerl wusste offenbar ganz genau, welche Wirkung sein Kuss entfaltet hatte.
    In Arjens Zimmer erwartete Greta ein unerwarteter Anblick: Arjen saß frisch rasiert in seiner grauen Lieblingsstrickjacke in einem Meer aus Kissen und mit einem Tablett auf seinem Schoß. Den Suppenlöffel hielt er bei ihrem Eintreten hoch in die Luft, offenbar, um einen Witz zu unterstreichen, den er gerade erzählt hatte. Zumindest lachte das Zimmermädchen Birte, das am Bettrand saß, hinter vorgehaltener Hand. Ein klirrend helles Feengeräusch, das vollauf zu diesem verhuschten Wesen passte. Kaum bemerkte sie Greta, sprang Birte auf und wäre wohl davongestürmt, wenn diese ihr nicht den Fluchtweg versperrt hätte.
    »Moin«, grüßte Greta so herzlich wie möglich. »Macht ihr beiden euch eine schöne Zeit? Das finde ich ja sehr lieb von Ihnen, dass Sie meinem Großvater Gesellschaft beim Essen leisten, Birte. Und dann auch noch so ausgesprochen erfolgreich, der Teller ist ja leer!«
    Arjen, der das Spiel »Wir reden beruhigend auf das scheue Wildpferd ein« in seiner Arzttätigkeit tagein, tagaus gespielt hatte, nahm Birtes Hand. »In der Gesellschaft dieser jungen Dame war es ein Leichtes zu vergessen, dass seit meiner Erkältung alles wie Styropor schmeckt. Wusstest du, dass Birte neben ihrer Tätigkeit hier im Haus auch in der hiesigen Trachtengruppe aktiv ist? Es ist erstaunlich, was es über eine Tracht alles zu erzählen gibt, vor allem, wenn man es mit einem ahnungslosen Banausen wie mir zu tun hat. Greta hat für solche Dinge mehr Sinn, nicht wahr?«
    Das war eine flotte Lüge. Bislang hatte Greta nicht einmal geahnt, dass es so etwas wie eine ostfriesische Trachtenkultur gab. Trotzdem nickte sie eifrig und war bereit, sich alles über Hauben und Schürzen anzuhören, wenn es denn half, dass Birte Zutrauen fasste. Ihr klang immer noch Trudes Bemerkung in den Ohren, dass die junge Frau bei einem gewalttätigen Vater aufgewachsen war. Da war jede Möglichkeit willkommen, die ihr half, mehr Selbstvertrauen zu fassen.
    »Kommen Sie, Birte. Zeigen Sie meiner Enkelin doch Ihre wunderbare Halskette.«
    Zu Gretas Erstaunen hob Birte brav das Kinn und deutete auf ein filigranes Schmuckstück, das an einem Samtband um ihren Hals hing. »Meins ist zwar nur aus Silber, aber sehr schön gearbeitet. Allein wie exakt die Details der Blüte aufgesetzt sind … Sehen Sie?«
    Greta musste zugeben, dass sie solch ein hauchzartes Etwas niemals mit dem Begriff Trachten in Verbindung gebracht hätte. Ein Halbmond aus Blättern mit einer Blüte in der Mitte, während darunter an feinen Gliedern eine Knospe hing. Behutsam berührte sie das Schmuckstück, das sich – erwärmt durch Birtes Haut – anfühlte,

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